Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
ließ mich in der Loge des Herrn von Cury nieder, in welche er mich selbst führte; es war eine große Prosceniumsloge gerade der kleinen etwas höher gelegenen gegenüber, in der der König mit Frau von Pompadour Platz nahm. Von Damen umringt und der einzige Mann in dem Vordergrunde der Loge, konnte ich nicht daran zweifeln, daß man mich absichtlich dorthin gesetzt hatte, um jedermann sichtbar zu sein. Als ich mich nach dem Anzünden der Lichter inmitten aller dieser Leute in glänzender Galatracht in meinem Aufzuge erblickte, begann es mir unbehaglich zu Muthe zu werden. Ich fragte mich, ob ich an meinem Platze wäre, ob sich mein Aeußeres für ihn schickte, und antwortete mir nach einigen Minuten innerer Unruhe, ja, und zwar mit einer Dreistigkeit, die vielleicht mehr von der Unmöglichkeit, es zu ändern, als von der Gewalt meiner Gründe herrührte. Ich sagte mir: Ich bin an meinem Platze, weil ich mein Stück spielen sehe, weil ich dazu eingeladen bin, weil ich es lediglich zu dem Zweck verfaßt habe, und weil doch wohl niemand ein größeres Recht besitzt, die Frucht meiner Arbeit und meiner Talente zu genießen als ich selbst. Die Kleidung, die ich trage, ist meine gewöhnliche, weder eine bessere noch eine schlechtere; fange ich wieder an, mich in irgend einem Stücke nach der herrschenden Meinung zu richten, so würde ich mich von ihr bald von neuem in allem geknechtet sehen. Um stets ich selbst zu sein, darf ich, wo ich mich auch immer befinden mag, nie über die meinem erwählten Stande angemessene Tracht erröthen; mein Aeußeres ist einfach und nachlässig, aber nicht schmutzig oder unsauber; auch der Bart ist es an sich nicht, weil die Natur ihn uns giebt und er je nach Zeit und Mode bisweilen sogar als Zierde gilt. Man wird mich lächerlich, ungezogen finden; ei, was thut das! Ich muß Spott und Tadel erdulden lernen, wenn er nur nicht verdient ist. Nach diesem kurzen Selbstgespräche gewann ich wieder so viel Fassung, daß ich, wenn es nöthig gewesen wäre, allem Trotz geboten hätte. Aber sei es die Wirkung der Gegenwart des Herrschers, sei es die natürliche Stimmung der Gemüther, ich nahm in der Neugier, deren Gegenstand ich bildete, nur Artigkeit und Höflichkeit wahr. Ich wurde dergestalt davon gerührt, daß ich wieder über mich selbst und das Schicksal meines Stückes unruhig zu werden begann, da ich besorgte, daß ich so günstige Vorurtheile, die nur darauf auszugehen schienen, mir Beifall zu spenden, zerstören könnte. Gegen ihren Spott war ich gewaffnet, aber ihr verbindliches Entgegenkommen, auf das ich nicht gerechnet hatte, überwältigte mich so, daß ich, als man begann, wie ein Kind zitterte.
    Bald sollte ich jedoch Grund erhalten, mich zu beruhigen. Was die Schauspieler anlangt, wurde das Stück zwar sehr schlecht gespielt, dafür aber der musikalische Theil vortrefflich gesungen und ausgeführt. Schon beim ersten Auftritte, der in der That von einer rührenden Natürlichkeit und Anmuth ist, vernahm ich, wie sich ein bei derartigen Stücken bisher unerhörtes Gemurmel der Ueberraschung und des Beifalls in den Logen erhob. Die zunehmende Aufregung stieg bald zu einem solchen Grade, daß sie in der ganzen Versammlung wahrnehmbar war, und, um mit Montesquieu zu reden, ihre Wirkung durch ihre Wirkung selbst steigerte. Bei der Scene der beiden braven kleinen Leute erreichte diese Wirkung ihren Höhepunkt. In Gegenwart des Königs wird nicht geklatscht; um so deutlicher kam alles zu Gehör; das Stück wie der Verfasser gewannen dabei. Ich vernahm rings um mich her ein Geflüster von Frauen, die mir schön wie Engel vorkamen und sich halblaut zuriefen: »Das ist reizend, das ist entzückend; jeder Ton spricht zum Herzen.« Die Freude, so viele liebenswürdige Personen zu rühren, rührte mich selbst bis zu Thränen, und beim ersten Duett vermochte ich sie nicht zurückzuhalten, als ich sah, daß sie mir nicht allein die Augen füllten. Ich versenkte mich einen Augenblick in die Vergangenheit, indem ich jenes Concertes bei Herrn von Treitorens gedachte. Diese Rückerinnerung wirkte auf mich ähnlich wie der Sklave, der die Krone über dem Haupte der Triumphatoren hält, auf diese; aber sie währte kurz, und ich überließ mich der Lust, meinen Ruhm zu genießen, bald voll und rückhaltslos. Trotzdem bin ich überzeugt, daß hierbei in diesem Augenblicke mehr das geschlechtliche Verlangen im Spiele war als die Autoreitelkeit, und wären nur Männer zugegen gewesen, würde ich gewiß

Weitere Kostenlose Bücher