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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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zum Zweikampfe gekommen wäre, wenn man sie nicht getrennt hätte. Man wollte sich an mich wenden; ich legte die Entscheidung wiederum in die Hände des Herrn Duclos. Man mußte sich also abermals an ihn wenden. Der Herr Herzog von Aumont mischte sich hinein. Duclos meinte schließlich der Gewalt nachgeben zu müssen, und das Stück wurde überlassen, um in Fontainebleau gespielt zu werden.
    Das, woran mir am meisten gelegen war und worin ich mich am weitesten vom gewöhnlichen Wege entfernte, war das Recitativ. Das meinige war auf ganz neue Weise durch die Betonung hervorgehoben und stimmte mit dem Vortrage der Worte überein. Man wagte nicht, diese entsetzliche Neuerung zu dulden; man befürchtete, sie möchte die Schafsohren empören. Ich genehmigte, daß Francueil und Jelyotte ein anderes Recitativ machten, wollte mich aber damit selbst nicht befassen.
    Als alles bereit und der Tag der Aufführung festgesetzt war, schlug man mir die Reise nach Fontainebleau vor, um wenigstens der Generalprobe beizuwohnen. Ich fuhr mit Fräulein Fel, Grimm und. wie ich glaube, auch mit dem Abbé Raynal, in einem Hofwagen hin. Die Probe hatte leidlichen Erfolg; ich war damit zufriedener, als ich erwartet hatte. Das zahlreiche Orchester war aus dem der Oper und der königlichen Kapelle gebildet. Jelyotte spielte Colin, Fräulein Fel Colette, Curilier den Wahrsager; die Chöre waren die der Oper. Ich sagte wenig; Jelyotte hatte alles geleitet; ich wollte seine Anordnungen nicht bekritteln, und trotz meiner angenommenen Verschlossenheit war ich inmitten aller dieser Leute verlegen wie ein Schüler.
    Am folgenden Tage, an dem der Aufführung, nahm ich im Café du Grand Commun das Frühstück ein. Es hatten sich daselbst viele Menschen zusammengefunden. Man sprach von der gestrigen Probe und der Schwierigkeit, mit der man Zutritt dazu erhielt. Ein anwesender Officier sagte, er wäre ohne Mühe hineingekommen, erzählte weitläuftig alle einzelnen Vorgänge daselbst, schilderte den Componisten und berichtete, was er gethan und gesagt hätte. Was mich aber bei dieser ziemlich langen, mit eben so großer Sicherheit wie Einfachheit vorgetragenen Erzählung Wunder nahm, war der Umstand, daß sich darin auch nicht ein einziges wahres Wort fand. Mir war es eine ausgemachte Sache, daß dieser Mann, der so umständlich von der Probe sprach, gar nicht darin gewesen war, da er den Componisten, den er genau gesehen zu haben behauptete, vor Augen hatte, ohne ihn zu erkennen. Am eigenthümlichsten war bei diesem Auftritte die Wirkung, die er auf mich ausübte. Dieser Mann war von einem gewissen Alter und hatte weder die Miene noch den Ton eines eitlen Gecken; sein Gesicht verrieth Geist und sein Sanct-Ludwigskreuz ließ auf einen alten Officier schließen. Trotz seiner Unverschämtheit und wider meinen Willen erregte er mein Interesse. Während er seine Lügen zum Besten gab, erröthete ich, schlug die Augen nieder, saß wie auf Kohlen; ich fragte mich bisweilen selbst, ob er sich nicht irren und im guten Glauben handeln könnte. Zitternd vor Besorgnis, es möchte mich jemand wieder erkennen und ihn dadurch beschämen, trank ich, ohne etwas zu sagen, meine Chocolade eiligst aus, und mit gesenktem Haupte an ihm vorbeigehend, schritt ich so schnell wie möglich hinaus, während sich die Anwesenden über seine Mittheilungen unterhielten. Auf der Straße bemerkte ich, daß ich schwitzte, und ich bin überzeugt, hätte mich jemand vor meinem Hinauseilen erkannt und genannt, so würde man an mir die Scham und Verlegenheit eines Schuldigen wahrgenommen haben, lediglich in dem Gefühle der Demüthigung, die dieser arme Mann bei der Entdeckung seiner Lüge hätte empfinden müssen.
    Da bin ich denn vor einem der kritischen Augenblicke meines Lebens angelangt, wo eine ausführliche Erzählung schwer fällt, weil es fast unmöglich ist, daß nicht der Bericht selbst das Gepräge der Anklage oder der Verteidigung trage. Trotzdem werde ich versuchen darzulegen, wie und auf welche Beweggründe gestützt ich mich hierbei verhielt, ohne weder Lob noch Tadel hinzuzufügen.
    Ich erschien an diesem Tage in meinem Aeußern eben so nachlässig wie gewöhnlich, hatte mich nicht rasirt und trug eine ziemlich schlecht gekämmte Perrücke. Diesen Mangel an Anstand als eine muthige That ansehend, trat ich in einem solchen Aufzuge in den nämlichen Saal, in welchem sich ein wenig später der König, die Königin, die königliche Familie und der ganze Hof einfinden sollten. Ich

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