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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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nicht von der Begierde, die mich unaufhörlich quälte, verzehrt worden sein, die köstlichen Thränen, die ich fließen machte, mit meinen Lippen aufzusaugen. Ich habe Stücke lebhaftere Bewunderung erregen, aber nie eine so vollständige, so süße, so rührende Trunkenheit in einem ganzen Theater herrschen sehen und noch dazu am Hofe, am Tage einer ersten Vorstellung. Die Zuschauer derselben müssen sich ihrer noch erinnern, denn der Erfolg war einzig.
    Noch an demselben Abende ließ mich der Herr Herzog von Aumont auffordern, mich am nächsten Morgen um elf Uhr im Schlosse einzufinden, da er mich dem Könige vorstellen sollte. Herr von Cury, der diesen Auftrag an mich ausrichtete, fügte hinzu, daß es sich angeblich um eine Pension handelte, deren Verleihung mir der König selbst ankündigen wollte.
    Wird man glauben, daß die Nacht, welche auf einen so glänzenden Tag folgte, für mich eine Nacht voller Angst und Unschlüssigkeit war? Nächst dem Gedanken an diese Vorstellung beschäftigte mich der Gedanke an ein häufig wiederkehrendes Bedürfnis, das mich an demselben Abend in peinigender Weise zum öftern Verlassen des Schauspielhauses genöthigt hatte und mich auch am nächsten Morgen quälen konnte, wenn ich mich inmitten aller dieser Großen, die auf das Vorüberschreiten seiner Majestät warteten, in der Galerie oder in den Gemächern des Königs befand. Diese Krankheit war der Hauptgrund, der mich von Gesellschaften fern hielt und mir ein längeres Zusammensein mit Frauen unmöglich machte. Der blose Gedanke an die Lage, in welche mich dieses Bedürfnis versetzen konnte, ließ es mich in einem Grade empfinden, daß ich auf das schmerzlichste darunter litt, wollte ich nicht ein Aufsehen erregen, dem ich den Tod vorgezogen hätte. Nur Leute, die diesen Zustand kennen, sind im Stande, sich die Angst auszumalen, von demselben befallen zu werden.
    Dann erblickte ich mich im Geiste vor dem Könige, wie ich seiner Majestät vorgestellt wurde, die anzuhalten und das Wort an mich zu richten geruhte. Da kam es auf Schlagfertigkeit im Antworten und Geistesgegenwart an. Würde meine verwünschte Blödigkeit, die mich vor dem geringsten Unbekannten in Verlegenheit bringt, vor dem Könige von Frankreich von mir gewichen sein oder mir gestattet haben, augenblicklich die richtige Antwort zu finden? Ich beabsichtigte, ohne den einmal angenommenen strengen Ernst in Miene und Ton aufzugeben, mich doch für die Ehre, die mir ein so großer Monarch anthat, dankbar zu zeigen. Ich mußte irgend eine große und nützliche Wahrheit in ein angenehm klingendes und verdientes Lob einhüllen. Um im voraus eine glückliche Antwort bereit zu halten, wäre es nöthig gewesen, das, was er mir sagen konnte, genau vorauszusehen; und ich war trotzdem überzeugt, daß mir selbst dann in seiner Gegenwart nicht ein einziges Wort von dem, was ich überlegt, wieder einfallen würde. Was hätte in diesem Augenblicke aus mir werden sollen, wenn ich unter den Augen des ganzen Hofes in meiner Verlegenheit mit einer meiner gewöhnlichen Dummheiten herausgeplatzt wäre? Diese Gefahr beunruhigte und entsetzte mich, ja erfüllte mich mit solcher Angst, daß ich mich dadurch bewegen ließ, mich ihr, koste es, was es wolle, nicht auszusetzen.
    Allerdings verlor ich dann die Pension, die mir gewissermaßen in Aussicht gestellt war: allein ich entzog mich auch dem Joche, welches sie mir auferlegt hätte. Vorbei wäre es dann gewesen mit Wahrheit, Freiheit, Muth. Wie hätte ich dann noch die Dreistigkeit haben können, von Unabhängigkeit und Uneigennützigkeit zu reden? Nach Annahme der Pension durfte ich nur schmeicheln oder schweigen. Wer leistete mir über dies Bürgschaft, daß sie mir ausgezahlt werden würde? Wie viel Laufereien hätte ich gehabt, bei wie viel Leuten als Bittsteller erscheinen müssen. Es hätte mir größere und unangenehmere Sorgen bereitet, sie mir zu sichern, als sie zu entbehren. Es erschien mir deshalb der Verzicht auf sie als das folgerichtige Ergebnis meiner Grundsätze, und ich glaubte dabei nur den Schein der Wirklichkeit zu opfern. Grimm, den ich von meinem Entschluß in Kenntnis setzte, hatte nichts gegen ihn einzuwenden. Den Andern gegenüber berief ich mich auf meinen Gesundheitszustand und reiste noch denselben Morgen ab.
    Meine Abreise erregte Aufsehen und wurde allgemein getadelt. Nicht jeder konnte für meine Gründe Verständnis haben; mich eines albernen Stolzes zeihen war leichter und befriedigte besser die

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