Roxelane
„Ich verstehe kein Wort.“ „Er sprach mir von Orkhan und Alaeddin.“
„Von Osmans Söhnen? Den Brüdern?“
„Von den Brüdern, die sich liebten!“ kam es aus Roxelane.
„Das ist lange her“, erklärte Dede Semid weltkundig und bestimmt, um ihre Worte sogleich zu bereuen. „Ich meine nur...“, stotterte sie verlegen.
„Du meinst, daß die Padischahs seither ihre Brüder erwürgten? Daß die Geschichte mit Orkhan und Alaeddin sehr lange her sei und sich nie mehr ereignen werde? Daß nie mehr ein Padischah aus dem Hause Osman mit seinen Brüdern in Frieden leben werde, mit seinen lebendigen Brüdern?! Das wolltest du doch sagen? Daß Soliman gelogen habe, als er es mir versprach? Nicht wahr? So deute ich jedenfalls deine Worte.“
„Allah verhüte“, erschrak Dede Semid, „daß ich jemals sagen könnte, der Kaiser habe gelogen.“
„Er hat aber gelogen!“ rief Roxelane und erhob sich mit der lebenden Last in ihrem Leib. Wild funkelnd erhob sie sich, ein kampfbereites Muttertier, voll Haß auf den Feind, der so fern war, und den sie doch leibhaftig vor sich sah. „Gelogen hat er, als er es mir versprach. Kein Prinzenmord solle mehr sein, versprach er mir, schwor er mir. Und ich glaubte die rührende Geschichte. Ich vergaß die Stummen am Bett. Und . . . und . . . und nun hat er doch gemordet, meineidig gemordet...!“
„Herrin ... Roxelane ...", bat Dede Semid.
„Und du?!“ ergoß es sich nun über die Bittende. „Du findest das alles ganz natürlich. Selbstverständlich findest du es, keiner Erwähnung wert! Und du weißt doch, daß ich ein Kind von ihm trage - dem Mörder!!! Und wenn es ein Sohn ist?! Soll ich lebendiges Fleisch für den Henker gebären?! Ich will nicht!! Ich will kein Kind!! Kein Kind von ihm!! Will nicht, will nicht, will nicht...!!!“ Wie herausgestoßen von einer fremden Gewalt drang aus ihrer Kehle ein gellender Schrei, abebbend und wieder anschwellend und immer wieder dazwischen: „Ich will nicht, will nicht, will nicht...!!“
Längst war Dede Semid bei der Schwangeren, die sich in Qualen am Boden wand, legte ihren Leib frei, in dem es arbeitete, wischte ihr den Schweiß vom Gesicht, ließ sie von herbeieilenden Mädchen stützen, schickte andere fort, schickte nach Hebammen, Ärzten ...
„Bei Allah, bei Allah ..betete sie. „Sie kommt nieder. Zu früh, viel zu früh! Und das Kind wird sterben. Des Kaisers Kind wird sterben. Und kein Mensch weiß, daß hier des Kaisers Kind stirbt.. Alles war ganz anders als vorher.
Bis jetzt hatte Dede Semid nur Eifersucht für das Kind empfunden, das, wie sie glaubte, ihr die Freundin nehmen würde. Es war eine Eifersucht gewesen wie die auf Soliman.
Aber Dede Semid hatte zwei Söhnen das Leben gegeben. Sie sah sie selten. Doch sie waren da. Und alle Söhne sollten leben. Alle Kinder. Auch Roxelanes Kind. Gerade das, wollte sie, sollte leben, gerade das! Zwei Söhne hatte Dede Semid geboren, aber beide Male war alles mit ihr geschehen, nichts hatte sie selbst zu tun brauchen. Und außer ihr hatte niemand in Roxelanes Umgebung Kinder gehabt. Die Guedlicki nicht und die Mägde auch nicht. Ungeschickt, ohne Erfahrung und außer sich vor Angst stand Dede Semid mit all diesen Jungfern einer Frühgeburt gegenüber.
Zärtliche Worte sagte sie, immer wieder dieselben, doch am liebsten hätte sie sich die Ohren zuhalten mögen, um Roxelanes Schreien nicht zu hören und nicht ihr: „Ich will nicht, will nicht...!!!“
Doch dann schwieg Dede Semid. Kein Wort kam mehr durch ihre zusammengepreßten Lippen, trotzdem Roxelane gerade jetzt mit Urlauten von Qual und wildestem Trotz die Räume erschütterte. Dede
Semid aber dachte nicht mehr oder höchstens noch an das Kind und daß die Geburt im achten Monat für Kinder am gefährlichsten sei. Von ihren Händen jedoch wußte sie nichts. Die brauchten auch keine Lenkung. Die wußten alles von sich aus.
Die Hände tasteten, fühlten.
Hier war etwas Rundes. Das mochte ein Kopf sein. Und dies eine Schulter.
„Haltet sie fest“, rief Dede Semids Mund, „ganz fest unter den Achseln, hab’ ich gesagt!“
Und dann zog Dede Semid.
Als Hilfe kam, war schon alles vorüber.
Nur noch zu trennen brauchte man die Mutter vom Kind.
„Lebt es?“ flüsterte Dede Semid.
Dann jedoch schrie sie auf.
„Roxelane!“ rief sie.
Sie rüttelte die Freundin, sie ... verstummte.
Roxelane rührte sich nicht mehr.
Bolils Brief war mit demselben Schnellboot gekommen, das die kaiserliche
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