Rubinrot
und meiner Großmutter nach, bis sie um die Ecke bogen und verschwanden.
Mr George griff nach meiner Hand und drückte sie. »Keine Angst, Gwendolyn. Du bist nicht allein.«
Richtig, ich war nicht allein. Ich war mit Menschen zusammen, denen ich nicht trauen durfte.
Keinem von ihnen,
hatte meine Mum gesagt. Ich sah Mr George in die freundlichen blauen Augen und suchte darin nach etwas Gefährlichem, Unaufrichtigem. Aber ich konnte nichts entdecken.
Vertraue niemandem.
Nicht mal deinem eigenen Gefühl.
»Komm, wir gehen wieder hinein. Du musst etwas in den Magen kriegen.«
»Ich hoffe, die kleine Unterredung mit deiner Mutter war erhellend für dich«, sagte Mr de Villiers auf dem Weg nach oben. »Lass mich raten: Sie hat dich vor uns gewarnt. Wir sind alle skrupellos und verlogen, richtig?«
»Das wissen Sie sicher besser als ich«, sagte ich. »Aber eigentlich haben wir darüber geredet, dass Sie und meine Mutter mal was zusammen hatten.«
Mr de Villiers zog überrascht seine Augenbrauen hoch.
»Das
hat sie gesagt?« Tatsächlich zeichnete sich so etwas wie Verlegenheit in seinem Gesicht ab. »Na ja, das ist lang her. Ich war jung und . . .«
»... und leicht zu beeindrucken«, ergänzte ich. »Das hat meine Mum auch gesagt.«
Mr George brach in lautes Lachen aus. »Oh ja, stimmt! Das hatte ich ganz vergessen. Du und Grace Montrose, ihr wart ein hübsches Paar, Falk. Wenn auch nur für drei Wochen. Dann hat sie dir bei diesem Wohltätigkeitsball in Holland House ein Stück Käsekuchen auf das Hemd geklebt und gesagt, dass sie nie wieder ein Wort mit dir sprechen wolle.«
»Es war Himbeersahnetorte«, sagte Mr de Villiers und zwinkerte mir zu. »Sie wollte sie mir eigentlich ins Gesicht werfen. Glücklicherweise hat sie nur das Hemd getroffen. Der Fleck ging nie mehr raus. Und das nur, weil sie eifersüchtig auf ein Mädchen war, an dessen Namen ich mich noch nicht mal mehr erinnere.«
»Larissa Crofts, Tochter des Finanzministers«, warf Mr George ein.
»Tatsächlich?« Mr de Villiers schien ehrlich erstaunt. »Des heutigen oder des damaligen?« »Damaliger.« »War sie hübsch?« »Leidlich.«
»Jedenfalls hat Grace mir das Herz gebrochen, weil sie was mit einem Jungen aus der Schule angefangen hat. An dessen Namen erinnere ich mich wiederum gut.«
»Ja. Weil du ihm die Nase gebrochen hast und seine Eltern dich deswegen beinahe verklagt hätten«, sagte Mr George.
»Ist das wahr?« Ich war äußerst fasziniert.
»Es war ein Unfall«, sagte Mr de Villiers. »Wir spielten zusammen in einer Rugbymannschaft.«
»Da tun sich Abgründe auf, nicht wahr, Gwendolyn?« Mr George lachte immer noch vergnügt, als er die Tür zum Drachensaal öffnete.
»Das kann man wohl sagen.« Ich blieb stehen, als ich Gideon am Tisch in der Raummitte sitzen sah. Er schaute uns mit gerunzelter Stirn entgegen.
Mr de Villiers schob mich vorwärts. »Es war nichts Ernstes«, sagte er. »Liebesbeziehungen zwischen den de Villiers und den Montroses stehen unter keinem guten Stern. Man könnte sagen, sie sind von vorneherein zum Scheitern verurteilt.«
»Ich denke, diese Warnung ist vollkommen überflüssig, Onkel«, sagte Gideon, wobei er die Arme vor der Brust verschränkte. »Sie ist definitiv nicht mein Typ.«
Mit »sie« war ich gemeint. Es dauerte eine Sekunde oder auch zwei, bis die Beleidigung bei mir ankam. Mein erster Impuls war eine Erwiderung in der Art wie »Ich stehe auch nicht auf arrogante Angebertypen« oder »Oh, da bin ich aber erleichtert. Ich habe nämlich schon einen Freund. Einen mit
guten
Manieren.« Aber dann hielt ich einfach den Mund.
Okay. Ich war nicht sein Typ. Na und? Dann eben nicht.
Das war mir doch so was von egal.
Aus den Annalen der Wächter 4. August 1953
Erhielten heute aufregenden Besuch aus der Zukunft. Der Elfte im Kreis der Zwölf Gideon de Villiers, wird zukünftig jede Nacht drei Stunden bei uns elapsieren. Wir richteten ihm einen Schlafplatz in Sir Walters Büro ein. Dort ist es kühl und ruhig und der Junge ist weitgehend vor neugierigen Blicken und dummen Fragen sicher. Während seines heutigen Besuchs kamen sämtliche diensthabenden Offiziere »ganz zufällig« vorbei. Und ganz zufällig hatten sie alle ein paar Fragen, die Zukunft betreffend. Der Junge empfahl den Kauf von Apple-Aktien, was immer das auch sein mag.
Robert Peel, Innerer Kreis
10.
Mantel: venezianischer Samt, gefüttert mit Seidentaft, Kleid: bedrucktes Leinen aus Deutschland,
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