Rubinrot
Ende ein Stoff, der, so man ihn trinkt, unsterblich macht. Die Anhänger des Grafen von Saint Germain behaupten, er habe das Rezept dazu besessen und sei somit unsterblich. Zwar sagen Quellen, dass er 1784 in Deutschland gestorben ist, aber es gibt andere Quellen über Berichte von Menschen, die ihn noch viele Jahre später quicklebendig angetroffen haben.«
»Hm, hm«, machte ich. »Ich glaube nicht, dass er unsterblich ist. Aber vielleicht will er es werden? Vielleicht ist das das Geheimnis hinter dem Geheimnis. Das, was passiert, wenn der Kreis sich schließt. . .«
»Möglich. Aber das ist nur eine Seite der Medaille, von glühenden Anhängern esoterischer Verschwörungstheorien forciert, die die Quellenangaben gern mal zu ihren Gunsten manipulieren. Kritische Betrachter gehen davon aus, dass die Mythen, die sich um Saint Germain ranken, zum größten Teil blanker Fantasie der Fans und seiner eigenen, geschickten Inszenierung zu verdanken sind.« Leslie rasselte das alles so fließend und voller echter Begeisterung herunter, dass ich lachen musste.
»Geh doch mal zu Mr Whitman und frag ihn, ob du eine Hausarbeit zu diesem Thema schreiben darfst«, schlug ich vor. »Du hast so viel recherchiert, dass du wahrscheinlich sogar ein ganzes Buch darüber schreiben könntest.«
»Ich glaube nicht, dass das Eichhörnchen meine Mühen zu schätzen weiß«, sagte Leslie. »Er ist schließlich einer von Saint Germains Fans - als Wächter muss er das ja sein. Also, für mich ist er ganz klar der Bösewicht in dieser Geschichte, also Saint Germain, nicht Mr Eichhörnchen. Er hat dich bedroht und gewürgt. Und deine Mutter hat gesagt, dass du dich vor ihm hüten musst. Sie weiß also mehr, als sie zugibt. Und das kann sie doch eigentlich nur von dieser Lucy wissen.«
»Ich glaube,
alle
wissen mehr, als sie zugeben«, seufzte ich. »Auf jeden Fall wissen alle mehr als ich. Sogar du!«
Leslie lachte. »Betrachte mich einfach als einen ausgelagerten Teil deines Gehirns. Um seine Herkunft hat der Graf immer ein großes Geheimnis gemacht. Der Name und der Titel waren auf jeden Fall frei erfunden. Möglicherweise ist er der uneheliche Sohn Maria Annas von Habsburg, der Witwe König Karls II. von Spanien. Als Vater kämen da mehrere Personen infrage. Eine andere Theorie lautet, dass er der Sohn eines transsilvanischen Fürsten sei, der in Italien beim letzten Herzog der Medici großgezogen wurde. So oder so - nichts davon ist wirklich beweisbar und so tappt jeder im Dunkeln. Aber wir beide haben ja jetzt eine neue Theorie.«
»Haben wir das?«
Leslie verdrehte die Augen. »Natürlich! Wir wissen jetzt, dass ein Elternteil auf jeden Fall aus der Familie de Villiers stammen muss.«
»Und woher wissen wir das?«
»Ach Gwen! Du hast selber gesagt, der erste Zeitreisende hieß de Villiers und der Graf
muss
deswegen entweder ein legales oder ein illegales Mitglied dieser Familie sein, das verstehst du doch, oder? Sonst hätten auch seine Nachkommen diesen Namen nicht.«
»Ähm, ja«, sagte ich unsicher. Mit dieser Vererbungssache kam ich noch nicht ganz klar. »Ich finde aber, diese Transsilvanien-Theorie hat auch was. Das kann doch kein Zufall sein, dass dieser Rakoczy von dort kommt.«
»Ich werde da weiter nachforschen«, versprach Leslie. »Achtung!« Die Tür vorne schwang auf und jemand kam in die Mädchentoilette. Sie - jedenfalls nahmen wir an, dass es eine Sie war - ging in die Kabine neben uns, um Pipi zu machen. Wir verhielten uns still, bis sie wieder weg war.
»Ohne sich die Hände zu waschen«, sagte Leslie. »Pfui. Ich bin froh, dass ich nicht weiß, wer das war.«
»Die Papiertücher sind alle«, sagte ich. Allmählich wurden meine Beine taub. »Meinst du, wir kriegen Ärger? Mrs Counter merkt bestimmt, dass wir nicht da sind. Und wenn nicht, dann petzt es irgendwer.«
»Für Mrs Counter sehen doch alle Schüler gleich aus, die merkt nichts. Sie nennt mich seit der fünften Klasse Lilly und dich verwechselt sie mit Cynthia. Ausgerechnet! Nee, nee, das hier ist wirklich wichtiger als Erdkunde. Du musst so gut vorbereitet sein wie nur irgend möglich. Je mehr man über seine Gegner weiß, desto besser.«
»Wenn ich nur wüsste, wer meine Gegner sind.«
»Du kannst keinem trauen«, sagte Leslie, genau wie meine Mutter. »Wenn wir in einem Film wären, dann wäre am Ende derjenige der Bösewicht, bei dem man es am wenigsten erwartet. Aber da wir nicht in einem Film sind, würde ich auf den Typ tippen, der dich
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