Rubinroter Schatten - Frost, J: Rubinroter Schatten - Eternal Kiss of Darkness (Night Huntress World/ Cat & Bones Welt 2)
damit er glaubte, Kira hätte sich die Grippe eingefangen und könnte deshalb nicht zur Arbeit kommen. Kira hatte so ihre Zweifel daran, dass es dem Vampir gelingen würde, ihrem unnachgiebigen Chef das Einverständnis abzuringen, ihr eine Woche freizugeben, aber Mencheres schien Vertrauen in Gorgons Fähigkeiten zu haben.
Intuitiv hielt sie Gorgon für ungefährlich, genau wie Mencheres, aber vielleicht waren Vampire einfach Meister der Täuschung. Für ein Raubtier war es schließlich äußerst vorteilhaft, wenn die Beute es für harmlos hielt. Kira wollte ihre Schwester keinem Vampir ausliefern, selbst wenn Gorgon ungefährlich war und es sie beruhigt hätte, falls er ihr hätte berichten können, dass es Tina gut ging.
Sie würde eben später noch einmal versuchen müssen, ihre Schwester zu erreichen. Mencheres war wohl kaum so herzlos, ihr nur einen Anruf zu gestatten. Für einen untoten Kerkermeister hatte er sich sogar als äußerst zuvorkommend erwiesen. Kira durfte in Haus, Pool und Garten tun und lassen, was sie wollte– solange sie nicht versuchte, ohne Erlaubnis Telefon, Computer oder Handy zu benutzen oder gar noch einmal wegzulaufen. Sie steckte sozusagen in samtenen Fesseln. Wie seltsam. In ihrer Ehe war sie unter schlimmeren Bedingungen gefangen gewesen.
Kira verdrängte den Gedanken, so schnell wie er gekommen war. Dieses Kapitel ihres Lebens war abgeschlossen, und alles, was ihr in den zehn Jahren danach widerfahren war, hatte sie in der Überzeugung bestärkt, das einzig Mögliche getan zu haben. Überleben. Das war zwar manchmal weder glanzvoll noch schön, aber immer notwendig gewesen.
Ihr Magen knurrte und erinnerte sie daran, dass sie zum Frühstück nur eine Banane und am Vortag gar nichts gegessen hatte. Mencheres hatte ihr erlaubt, sich aus dem Kühlschrank zu bedienen, und sogar ein wenig zerknirscht geklungen, als er sie darauf hingewiesen hatte, dass sie das Kochen selbst übernehmen müsste.
Samtene Fesseln, wie gesagt.
Kira verließ das Schlafzimmer und machte sich auf zur Küche. Mal sehen, ob es Mencheres ernst gewesen war, als er ihr gesagt hatte, sie könnte sich im Haus frei bewegen.
Sie ging die Treppe hinunter und blieb im ersten Stock stehen. Ihr Zimmer lag im zweiten Stock, und obwohl es im Flur noch zwei weitere Türen gab, hatte sie auf der gesamten Etage noch niemanden gehört. Falls Mencheres auch dort oben war, verhielt er sich sehr ruhig. Oder wohnte er im ersten Stock? Sie selbst, Gorgon und Mencheres schienen die einzigen Hausbewohner zu sein. Lebte hier sonst niemand? Wenn ja, warum benötigte Mencheres dann ein so großes Anwesen?
Und entweder war Mencheres die unsentimentalste Person überhaupt, oder er wohnte hier noch nicht lang. Kira hatte im Haus noch keine persönlichen Fotos oder Erinnerungsstücke gesehen, alles wirkte so kühl und perfekt, als würde das Haus meist leerstehen. Wenn das also nicht Mencheres’ Hauptwohnsitz war, warum war er dann jetzt hier? Und wo lebte er sonst?
Gelächter lenkte Kira von dem Gegrübel über ihren mysteriösen Entführer ab. Die Stimme hatte einen eindeutig weiblichen Klang und widerlegte Kiras These, Mencheres, Gorgon und sie wären die einzigen Hausbewohner. Beinahe vorsichtig ging Kira die letzte Treppe hinunter und hörte als Nächstes eine leise Männerstimme lachen. Kira verspürte einen sonderbaren Stich in ihrem Inneren. War das Mencheres? Und wenn ja, wer war die Frau, mit der er lachte? Seine Freundin?
Vielleicht sogar seine Frau? Der Vampir trug keinen Ehering, aber wer wusste schon, ob das etwas zu bedeuten hatte? Vielleicht trugen verheiratete Vampire keine Ringe.
Kira straffte die Schultern und folgte den Stimmen. Wenigstens kamen sie aus dem Raum, zu dem sie ohnehin unterwegs gewesen war– der Küche. Sie brauchte sich also keinen Vorwand einfallen zu lassen, um einzutreten; ihr knurrender Magen würde ihr Auftauchen erklären. Als Kira aber endlich einen Blick auf die um den Tisch in der Essecke versammelten Gestalten werfen konnte, blickte sie in lauter unbekannte Gesichter.
Bei Kiras Eintreten verstummte das Gespräch, und alle sahen sie an. Dem Essen nach zu schließen, das auf dem Tisch stand, musste es sich bei den beiden Männern und der Frau um Menschen handeln. Noch mehr Zeugen, die hier gegen ihren Willen festgehalten wurden? Grundgütiger, hielt Mencheres sich etwa einen ganzen Stall voller Leute, die zufällig davon Wind bekommen hatten, dass es Vampire gab? Ein Schauder überkam sie.
Weitere Kostenlose Bücher