Rubinsteins Versteigerung
Stimmung in den Laden. Ich könnte mir vorstellen, dass du gemeinsam mit Peter und Carlo ein prima Team abgeben würdest.«
»Aber was ist mit dir, Jonny?« Nicht mal Rachel denkt daran, die kluge Mara vorzuschlagen. »Du warst doch immer einer der Aktivsten.«
»Nein, meine Zeit ist vorbei. Ich will, dass jetzt endlich die Jüngeren drankommen. Aber ich steh euch natürlich immer gern mit Rat und Tat zur Verfügung.« Wie man den Laden möglichst schnell auseinandernimmt.
»Ich glaube, ich muss jetzt gehen.«
Was heißt hier glauben?
»Bleib doch noch ein bisschen, Mara.«
›Ein bisschen‹ ist unter Maras Würde. »Nein. Ich muss jetzt wirklich los.«
»Schalom.«
»Warte, ich bringe dich hinaus.«
»Schalom, Mara.«
Wenn Blicke töten könnten …
»Weißt du, Rachel, bei dir fühle ich mich wohl.«
Stimmt tatsächlich, hier werden nicht dauernd Dressurversuche unternommen.
»Willst du vielleicht etwas trinken, Jonny?«
»Nein, ich will dich ansehen.« Ich nehme ihre Hand in die meine. Ganz einfach. Ohne Angst. Ohne kalte Hände. Wie selbstverständlich. Rachels Wangen röten sich, sie blickt auf einen imaginären Punkt hinter mir. »Jonny, ich weiß nicht, ob das recht ist. Du bist doch mit Mara befreundet.«
Die Tante hat ihr also gestern Abend alles brühwarm durchtelefoniert.
»Es ist recht, weil ich jetzt mit dir gehen werde.« Woher nehme ich nur diese Sicherheit? Bei Mara hätte ich so was nie gewagt. Aber bei Ruchale gibt es keinen Widerstand. Hier fühle ich mich sicher, geborgen. Habe keine Angst vor einer Zurückweisung, obgleich ich heute zum ersten Mal allein mit ihr bin.
»Jonny …«, ihre Augen sind glasig. Sie erwartet, dass ich sie küsse. Bisher habe ich doch nur Ester Karmi ›richtig‹ geküsst. Na und? Was kann ich schon falsch machen? Ich lege einen Arm um ihre Schultern. Mit den Fingern der anderen Hand streichle ich ihre Wangen. Will sie sanft auf die Stirne küssen. Sie hat ihre Augen geschlossen und ihren Mund geöffnet. Ruchale hat wohl noch nie richtig geknutscht. Los ran, Mann. Ich presse meine Lippen auf ihren Mund. Sie schmeckt nach Konfitüre. Ich spiele mit ihrer noch ungelenken Zunge. Rachels Atem geht stoßweise. Um Gottes willen, wenn jetzt die alte Blum zur Tür reinkäme. Ich löse mich langsam von ihr. Wir sehen uns lange an. Mir ist, als ob mich ihre Augen umarmen würden.
»Rachel, ich hab dich lieb.«
»Ich dich auch, mein Jonny.«
Wir umarmen uns wieder. Sie keucht so laut, dass ich es mit der Angst bekomme.
»Ruchale, ich glaube, es ist klüger, wir gehen ein bisschen spazieren.«
»Ja, das glaub ich auch.«
Verdammt, warum können wir nicht vögeln wie normale Menschen? Sie hat irre Lust. Also muss ich den Vernünftigen spielen.
Sie streichelt kurz meine Wange, verlässt das Zimmer. »Mutti, ich begleite Jonathan noch zur Straßenbahn.«
Ruchale ist wirklich aus der Art geschlagen. Welches jüdische Mädchen in München würde auf die Idee kommen, ihren Freund zur Straßenbahn zu begleiten. Mara etwa würde gewiss lieber auf einen solchen Freund verzichten.
Dabei sind die Blums doch keine Asozialen. Im Gegenteil, sie gehören zu den arrivierten jüdischen Familien Münchens. Der alte Blum dürfte nicht wesentlich weniger Geld haben als Maras Vater. Nicht wie wir!
»Wohin gehen wir, Jonathan?«
»Am besten an die Isar.« Da treiben sich um die Zeit keine Jidn rum. Kaum haben wir uns von der Blum’schen Wohnung entfernt, beginnen wir, uns mitten auf der Straße wild zu küssen. Mit glühenden Gesichtern erreichen wir die Isarauen. Stürzen ins erstbeste Gebüsch, küssen uns, pressen unsere Leiber gegeneinander. In meiner Hose zuckt es. Rachel keucht, zerbeißt meine Zunge, windet ihren Leib ruckartig. Fass jetzt bloß nicht zwischen ihre Beine, sonst verlierst du die Kontrolle über die Situation. Ich habe sie schon verloren, über meinen voreiligen Schmock zumindest.
Allmählich werde ich ruhiger. Ruchale hat sich an meinem Mund festgebissen, alles um sich herum vergessen. Ich mache mich vorsichtig frei, rüttle leicht ihre Schultern. »Du musst jetzt zurück, sonst kriegen wir Ärger.«
»Du hast recht. Um Gottes willen, wie sehe ich aus? Der Rock und die Bluse sind total zerknittert.«
Bei den Deutschen genügt ›Scheiße‹, bei uns muss esimmer ›Gott‹ oder zumindest ›sein Wille‹ sein, sogar beim Petting.
Wir überqueren die Erhardstraße. Im Licht der Straßenbeleuchtung versucht Ruchale, ihre Kleider wieder
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