Rubinsteins Versteigerung
du musst lernen, weil du nächste Woche Klassenarbeiten in Mathematik und Französisch hast.«
»Richtig, Esel.«
»Warum gehst du dann fort?«
»Weil ich sonst dich und Feiga Fuchs und alle übrigen jiddischen Mammes auf den Mond schießen würde.«
HOSENSPRITZER
»Das wäre aber nicht nötig gewesen, Rubinstein. Woher wussten Sie übrigens, dass ich Veilchen so gerne mag?«
Alle Weiber scheinen dieses bunte Kraut zu lieben, die Taucher ebenso wie Ruchale.
Lesen tut sie jedenfalls. Ganze Wände voller Bücher! Englisch, französisch, deutsch. Fast wie bei unseren Jidn in München: Exodus, Mila 18, Kishon, Israel-Bildband und noch ein paar Gebetbücher.
»Ich hoffe, Sie mögen das Gebäck, das ich besorgt habe.«
Gott sei Dank, kein selbstgebackener Lejkach.
»Ich wollte Ihnen sagen, Rubinstein, dass ich die Bemerkung, die dieser Bauriedl in der ersten Stunde über Ihre Herkunft machte, unverschämt, unerhört fand. Ich habe ihn deshalb gehörig zurechtgewiesen.«
Dass ich dann die gehörige Zurechtweisung ausbaden musste, kommt ihr nicht in den Sinn.
»Aber mich beschäftigt noch eine andere Frage. Sagen Sie … oder können Sie mir vielleicht sagen, weshalb Sie sich zuerst zu mir vorgesetzt und kurz darauf den Platz wieder verlassen haben?«
»Um die Wahrheit zu sagen, es war ganz einfach. Sie waren mir sympathisch, und da habe ich meine Scheu überwunden und mich zu Ihnen vorgesetzt.«
»Schön. Aber warum haben Sie kurz darauf Ihren Platz wieder verlassen – in einer, wie ich sagen muss, recht unkonventionellen Art und Weise?«
»Bei Ihrer politischen Einstellung müssten Sie doch eine Vorliebe fürs Unkonventionelle haben!«
»In diesem Fall allerdings nicht. Mir ist immer noch unklar, weshalb Sie den Platz neben mir wieder aufgegeben haben.«
Sei doch nicht so feig! »Ja also, es war einfach vorbei. Sie hatten meine Hand losgelassen.«
»War es angenehm, meine Hand zu spüren?«
Ich soll wohl ein großes Liebesgeständnis machen. Genau! Jetzt ist der richtige Moment. Sie will, dass ich die Initiative ergreife. Los, Kerl, steh auf, geh hin zu ihr, nimm sie in den Arm. Der Rest ergibt sich von selbst.
Ich kann nicht. Ich habe keine Kraft.
»Ja.« Die Gelegenheit ist vorbei, du Versager. Jeder Trottel wäre schon längst mit ihr zusammen. Nur Jonathan Rubinstein mit seiner großen Klappe sitzt da wie ein Jeschiwe-Bocher 1 . Auf was wartest du, Feigling? Vielleicht darauf, dass dir Esel zu Hilfe kommt? »Nun zieren Sie sich nicht so, Frau Taucher. Mein Jonny ist eben ein gut erzogener jüdischer Junge, deshalb hat er gewisse Hemmungen. Das ist ganz in Ordnung. Oder hätten Sie lieber einen von diesen gojischen Burschen, die sich in seinem Alter schon jedeNacht mit einer anderen Schickse herumtreiben und sich dabei weiß Gott welche Krankheiten holen? Na also, dann helfen Sie ihm ein wenig!« Von wegen! Esel wäre irre stolz auf ihre Erziehung. »Siehst du, Friedrich, es steckt doch ein guter Kern in ihm! Obgleich diese freche Schickse versucht, ihn mit allen Mitteln zu verführen, bleibt er anständig.« Verflucht und zugenäht, ich bin ein perfektes Produkt Esel’scher Erziehung. Sitze da wie ein Häufchen Elend und warte insgeheim darauf, dass die Mamme mir dabei hilft, mit einer Situation fertig zu werden, die ich nach jahrelanger Dressur im jüdischen Elternhaus nicht bewältigen darf und kann. Na warte, Esel, und wenn ich mich total lächerlich mache, du wirst mich nicht ewig daran hindern, wie ein normaler Mensch zu vögeln.
Ich stehe auf, gehe um den Tisch, bleibe hinter ihr stehen. Hildchen Taucher wendet ihren Kopf, sieht mich an. Was sagen ihre Augen? Philosophier nicht über ihre Augen, tu was, aber fix!
Ich lege meine kalte Hand auf ihre Schulter. Sie sieht mich weiter an, sonst nichts. Ich weiche ihrem Blick aus. Nur weiter so, Rubinstein, vielleicht versteckst du dich unter dem Tisch. »Sieh her, Esel, dein Sohn bleibt anständig. Er kann sich beherrschen, weil du ihm seine Unbeherrschtheit wegerzogen hast! Er ist und bleibt dein Eunuch.«
Du sollst dich nicht selbst beschimpfen, sondern was tun! Ich beuge mich über sie, will sie auf die Stirn küssen. Ehe meine Lippen sie berühren können, hat sie den Kopf zurückgeworfen. Sie nimmt meine Hand, zieht sie von ihrer Schulter, in ihren Schoß. »Jetzt müssen Sie nicht befürchten, dass alles in wenigen Sekunden vorbei ist.«
Endlich! Endlich wage ich, sie anzusehen, möchte am liebsten in ihre Augen eintauchen. Wie von
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