Rubinsteins Versteigerung
einigermaßen glattzustreichen. Dann marschieren wir Arm in Arm zu ihrem Haus. Im Gang küssen wir uns wieder.
»Du kommst doch morgen zur ›Sinai‹, Jonny?«
»Sicher. Am besten, wir treffen uns schon eine Stunde vorher unten.«
»Au ja. Schalom, bis morgen.«
Noch ein flüchtiger Kuss.
»Schalom.«
An der Straßenbahnhaltestelle blicke ich auf meine Uhr. Es ist acht. Acht Uhr, verdammt noch mal! Jetzt gehen die Deutschen erst fort. Nur die gut behüteten jüdischen Mädchen müssen jetzt schon unter der Obhut ihrer jiddischen Mamme sein – und ich Ochse sorge noch dafür.
DIE EINLADUNG
»Rubinstein, bleiben Sie bitte noch einen Moment. Ich möchte kurz mit Ihnen sprechen.«
Was wird die Taucher von mir wollen? Sicher hat sie meine dauernden Provokationen während des Unterrichts satt. Was soll ich sonst tun? Eine Liebeserklärung kann ich ihr nicht machen. Also streite ich mich mit ihr. Da muss sie wenigstens reagieren – ob sie will oder nicht. Und wie sie heute wieder reagiert hat! Schrie rum, bekam rote Flecken im Gesicht und Ausschnitt.
Ich kann es kaum erwarten, bis die Burschen in den Bänken vor mir das Zimmer verlassen. Nachdem der Letzte mit einem anzüglichen Grinsen aus dem Zimmer gegangen ist, schließt sie die Tür hinter ihm. Soll ich zu ihr vor ans Pult oder bleiben, wo ich bin? Ehe ich mich entscheiden kann, steht sie vor mir. Ich zwinge mich, ihr in die Augen zu blicken.
»Rubinstein, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze. Sie besitzen ein soziales Gewissen und verfügen über eine wache Intelligenz.«
Was will sie eigentlich wirklich?
»Kurz gesagt, Rubinstein, Sie sind mir sympathisch. Und ich bin sicher, dass auch ich Ihnen nicht unsympathisch bin.«
»Ja«, quake ich heiser.
»Meinen Sie nicht auch, Rubinstein, dass ein Großteil unserer Konflikte im Unterricht völlig überflüssig ist?«
»Doch.« Am liebsten würde ich sie umarmen, küssen. Aber ich bin zu keiner Bewegung fähig. Weshalb ging bei Rachel alles so selbstverständlich? Und warum bin ich hier wie gelähmt?
»Sehen Sie, ich wusste, dass wir einer Meinung sind.«
Klingt ihre Stimme erleichtert, oder will ich es nur hören? »Ich finde, wir sollten uns mal unterhalten. Aber ich glaube nicht, dass das Klassenzimmer der richtige Rahmen hierfür ist. Was halten Sie davon, mich am kommenden Donnerstag zum Kaffee zu besuchen?«
»Ja.« Was heißt »Ja«, du Trottel? Antworte wie ein Mensch, nicht wie ein verliebtes Kalb! »Gerne, um wie viel Uhr?«
»Ist Ihnen vier Uhr recht?«
Mir ist alles recht, wenn ich dich nur sehen kann. »Ja.«
»Schön, ich freue mich schon auf Ihren Besuch, Rubinstein. Ach ja. Ich muss Ihnen noch sagen, wo ich wohne.« Musst du nicht, ich habe längst im Telefonbuch nachgesehen.
»Amalienstraße 53, dritter Stock. Unmittelbar hinter dem Uni-Gebäude. Also, auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen.« Die ist mit mir genauso umgesprungen wie ich mit unseren Mädchen. Womöglich geht sie bei sich zu Hause auf mich los wie ich auf Rachel und Ester Karmi. Aber ohne Faxen – direkt ins Bett. Und ich habe doch noch nie gebumst. Was passiert, wenn ich mich bei ihr genauso anstelle wie bei der Nutte im »Imexhaus«? Sie glaubt dann, ich sei ein Homo oder impotent. Vielleicht bin ich’s wirklich.
Einundzwanzig und noch nicht gevögelt – was soll aus Ihnen werden, Rubinstein? Außer Joel hat doch noch keiner von uns mit einer Frau geschlafen. Wir können doch nicht alle verrückt sein – oder?
Was tu ich jetzt bloß?
Jetzt gar nichts! Heute ist Dienstag, bis Donnerstag ist noch viel Zeit. Ich geh erst mal nach Hause.
»Schalom, Esel.«
»Warum kommst du heute so spät?«
»Weil es länger gedauert hat, darum.«
»Warum bist du denn heute schon wieder so aufgeregt?«
»Ich bin nicht ›aufgeregt‹. Aber wenn du mich weiter so verhörst, könnte ich’s schnell werden.«
»Mit dem Essen musst du warten, es ist nämlich kalt geworden. Was willst du überhaupt? Gekochtes Huhn oder Tellerfleisch?«
»Tellerfleisch.«
»Aber Hühnerfleisch ist gesünder für den Magen.«
»Spinnst du? Du weißt, dass ich esse, was auf den Tisch kommt. Aber jedes Mal musst du mich fragen, was ich will, nur um mir dann doch vorzusetzen, was dir passt. Das ist schlimmer als bei Wahlen in Russland.«
»Mach mir keine Politik, sondern sag mir, was du essen willst.«
»Tellerfleisch.«
»Aber Huhn ist bekömmlicher.«
»Dann gib mir Huhn, in drei Teufels Namen, aber hör auf, mich dauernd zu fragen
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