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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Seligmann
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fehlt? Damit fängt es an. Für den Rest sorgen schon die Gojim. Viele finden es Scheiße, dass man Jude ist, wenige Perverse beneiden einen darum, manchen ist es wurst. Fremd bleiben wir in jedem Fall. Wir gehören nicht dazu! Wollen es nicht und können es auch nicht – nach alldem, was die Kerle unserem Volk angetan haben.
    Sogar Hilde! Wer weiß, ob nicht ihr Vater meine Großmutter geendlöst hat, oder ihr Onkel oder ihr Weiß-Gott-Was. Eine Million SS-Leute können doch nicht vom Erdboden verschluckt worden sein! Die meisten leben noch mitsamt ihren Familien. Wenn ich in Deutschland bleibe, schlafe ich eines Tages mit der Tochter eines solchen Mörders. Vielleicht heirate ich sie sogar, bekomme Kinder mit ihr: einen kleinen Adolf Rubinstein etwa.
     
    Über all das denken die alten Jidn hier nicht nach. Können sie auch gar nicht. Sie würden verrückt werden, wenn siesich eingestehen würden, dass sie ins Land ihrer Mörder zurückgekehrt sind, dass sie dabei sind, ihre Kinder, ihr »Fleisch und Blut«, mit dem Blut eben jener SS-Mörder zu vermanschen. Aber das alles ist als Gesprächsthema tabu!
    Und ich? Ich sitze auch hier. In Deutschland, in der Haupt-Synagoge der »Hauptstadt der Bewegung«.
    Unwillkürlich springe ich auf, die Sitzbank leiert zurück, rastet mit einem leisen Klack ein. Fred wendet sich mir zu. Aus seinen blauen Kinderaugen blickt mich die Verständnislosigkeit aller Juden im heutigen Deutschland an.
    Aller! Ja, aller! Auch wenn sie geschäftlich erfolgreicher sind als Fred, begreifen sie genauso wenig wie er, in welche Lage sie sich und ihre Familien hier gebracht haben. Sie wollen nicht begreifen! Sie sträuben sich mit Händen und Füßen dagegen, zu verstehen, denn das wäre ihr Ende. Das Eingeständnis des freiwilligen moralischen Selbstmords der kümmerlichen Reste des deutschen Judentums, das die Todesmaschinerie körperlich überlebt hatte.
    Nach wenigen Minuten an der frischen Luft habe ich mich einigermaßen beruhigt. Rubinstein, du wirst die Situation nicht ändern. Hier gibt es nichts mehr zu verbessern, die Deutschen haben jetzt genau die Juden, die sie verdienen – und umgekehrt. Ich marschiere nach Hause.
    »Wieso bist du schon da? Wo ist Friedrich?«
    »Fred betet noch oder tut zumindest so, Esel. Ich bin einfach früher abgehauen.«
    »Warum?«
    »Weil mir in dem Laden schlecht wurde.«
    »Fehlt dir was?«
    »Ja. Essen und Ruhe.«
    »Was willst du essen?«
    »Egal, was du hast. Ich muss schnell machen und dann lernen.«
    »Na also, begreifst du endlich, dass man auch lernen muss?«
    »Und ob ich das begreife!«
     
    Während des Essens taucht Fred auf.
    »Wieso bist du früher weggegangen? Deine ganzen Freunde sind bis zum Schluss dageblieben, wie es sich gehört.«
    »Gehört! Gehört es sich eigentlich, stundenlang ein Zeug anzuhören, das niemand versteht?«
    »Weshalb hast du nicht im Religionsunterricht aufgepasst?«
    »Was hat das eigentlich damit zu tun? Die erklären einem höchstens wieder, was koscher 1 ist und was nicht. Aber ob es überhaupt jemanden gibt, zu dem man betet, fragt niemand. Nicht mal meine sogenannten Freunde.«
    »Willst du damit behaupten, dass es keinen Gott gibt?« Friedrich schreit. Endlich darf er als wahrer Streiter des Glaubens fechten, um dessentwillen er, weiß Gott, schon so viel einstecken musste.
    »Ich will gar nichts behaupten, weil ich es ebenso wenig weiß wie du. Vielleicht gibt es tatsächlich so etwas wie Gott. Er stellt gewisse Normen auf und lässt es damit gut oder schlecht sein. Ein Gott ohne individuelles Erbarmen, wie ihn sich Baruch Spinoza gedacht hat. Das würdeetwa das tatenlose Zuschauen zur Endlösung verständlich machen.«
    »Spinoza! Du weißt ja, wie weit er mit seinen Ideen gekommen ist. Man hat ihn in Acht und Bann geworfen.«
    »Das dürfte aber auch alles sein, was du von Spinoza weißt.«
    »Genug jetzt! Hört auf, euch zu streiten und zu philosophieren. Das ist ungesund für die Verdauung.«

GEHOPSE
    Was soll ich eigentlich in dieser Scheißdiskothek? Seit gut zwei Stunden muss ich mir dieses Gejaule anhören. Rachel leckt sich schon die Lippen. Kann’s wohl nicht erwarten, geknutscht zu werden? Aber gerade danach ist mir im Moment nicht zumute.
    »Sag mal, Jonny, magst du mich noch?«
    Nein! »Ja, sicher.«
    »Weshalb bist du den ganzen Abend so abwesend?«
    »Weißt du, ich muss an die Schule denken.«
    »Wirklich?«
    »Echt. Nächste Woche beginnen die letzten Klassenarbeiten vor dem Abi, und ich

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