Rubinsteins Versteigerung
selbst nähert sich mein Mund ihren Lippen. Da schiebt sie ihre freie Hand zwischen unsere Gesichter, berührt mit ihren Fingern sanft meinen Mund. »Nein, lassen wir es dabei bewenden!«
Ich springe hoch. »Warum?«, rufe ich heiser.
»Jonathan!« Zum ersten Mal nennt sie mich so. »Werden Sie bitte nicht schon wieder heftig. Sie machen sonst etwas Schönes kaputt.«
»Was?«
»Unsere Gefühle … unsere gegenseitige Zuneigung.«
Ich knie mich neben sie. Wir sehen uns sekundenlang stumm an. Ich will in ihr aufgehen. Wir umarmen uns. Unsere Zungen saugen sich ineinander fest. Wir sehen uns an, streicheln uns.
Sie legt ihre Hand an meine Wangen. »Jonathan. Es ist jetzt alles so schön. Wir wollen es uns so erhalten. Sei nicht traurig, aber ich muss dich bitten, jetzt zu gehen.«
»Wieso?«
»Du weißt genau, wie es weitergehen wird, wenn du hierbleibst. Ich möchte nicht mit dir schlafen.«
»Warum denn nicht?«, krächze ich.
»Weil ich etwa 15 Jahre älter bin als du und zu allem Überdruss auch noch deine Lehrerin. Es wäre nur eine Frage der Zeit, wann unser Verhältnis zerbrechen würde. Dazu habe ich nicht die geringste Lust. Ich habe schon zu oft unter dem Scheitern einer Beziehung gelitten. Und für ein rein sexuelles Verhältnis, falls es so etwas gibt, habe ich dich zu lieb, Jonathan.«
Anscheinend gibt es außer einer jiddischen Mamme und Antisemitismus noch andere Probleme auf dieser Welt. Ich nehme Hildes Kopf – ja, Hilde, nicht mehr die Taucher – zwischen meine Hände, küsse sie auf die Stirn, die geschlossenen Augenlider, auf die Nase, dann auf den Mund. Sie leistet keinen Widerstand, im Gegenteil, sie kommt mir sofort entgegen. Augenblicklich bin ich erregt. Auch Hildchen. Sie umschlingt mich, presst sich an mich. Ich spüre ihren Körper. Wir schleppen uns zur Couch, ihr leises »nicht« geht in wilden Küssen unter. Ich liege auf ihr. Hilde atmet laut, fast seufzend. Mein Schmock beginnt zu zucken. Um Gottes willen, es kommt, verdammte Scheiße!
Was kann man auch mehr von dir erwarten, Rubinstein? Einundzwanzig, noch Jungfrau und dann plötzlich mit einer tollen Frau zusammen. Coitus praecox, schmäcox. Ich werde allmählich ruhiger, lediglich in meinen Schläfen pocht es noch.
»Jonathan, lass uns aufhören, bitte.« Was bleibt mir im Moment anderes übrig? Ich küsse sie zärtlich auf Stirn und Wangen. Ihr Gesicht ist leicht gerötet. Ich küsse nochmals ihre Augen, spüre ihre auf und ab zuckenden Wimpern. Setze mich auf, bette ihren Kopf in meinen Schoß. Streichle über ihr Gesicht. Soll ich sagen, wie sehr ich sie … Halt’s Maul, das weiß sie sowieso. Hilde ergreift meine Hand, führt sie an ihren Mund, küsst sie, drückt sie gegen ihre Brust, legt sie in ihren Schoß. Mein Schmock regt sich wieder.
»Jonathan, bitte geh jetzt, sei du wenigstens vernünftig, wenn ich schon verrücktspiele.«
»Gut.« Du Arschloch! Kaum appelliert jemand an seineVernunft, schon steht Rubinstein stramm – nur nicht in der Hose. Rubinstein, du bist ein guter Deutscher, wenn auch leider mosaischen Glaubens. Vernünftig, diszipliniert, ordentlich. Recht so. Auch ein guter Jid, verdammt noch mal, macht immer das, was seine Mamme und ihre Geschlechtsgenossinnen verlangen. Und mein Schmock? Gut, er ist nur ein Schwanz, aber auch er hat seine Rechte! Er hat es satt, vor lauter Disziplin und Rücksichtnahme nur in die Hose zu spritzen.
Hildchen hat sich mittlerweile wieder gefangen. Sie ist aufgestanden, glättet ihren Rock. Das darf doch nicht wahr sein, diese erwachsene Frau glättet sich ihre Kleidung und blickt dabei besorgt wie ein kleines jüdisches Mädchen, das Angst hat, von seiner Mutter ertappt zu werden.
Rubinstein, du bist ein Vollidiot. Während du über deine Mamme und die Vernunft der Frauen philosophierst, lässt du dir die Gelegenheit deines Lebens entgehen, mit der Frau, die du liebst, ja liebst, zu schlafen.
»Tschüss, Jonathan.«
»Ja.«
Jetzt hast du dich wieder unter Kontrolle, Hildchen Taucher, dank Rubinsteins eunuchenhafter Vernunft. Ich küsse sie auf die nach Shampoo duftenden Haare und gehe, ohne mich umzusehen, ohne auf sie zu warten, obgleich ich sie hinter mir spüre.
Hosenspritzer! Genau! Das wirst du auch bleiben, bis du von einem jüdischen Frauenzimmer geheiratet wirst – vorausgesetzt, dass du Karriere machst.
DER UNTERTAN
»Wie Ihnen allen sicher bekannt ist, jährt sich in wenigen Monaten der Beginn des Zweiten Weltkriegs zum dreißigsten Mal.
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