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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Seligmann
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Stufen hochgehen, fällt mein Blick unwillkürlich auf ihre muskulösen Waden. Vor dem Krieg haben solche Mädels den jüdischen Handelsvertretern auf ihren nie endenden Reisen das Leben versüßt. Vielleicht sollte auch ich? Sie ist jetzt vor dem Zimmer angelangt, greift in ihre Kitteltasche und holt einen riesigen vernickelten Schlüssel an einem ebenso großen Holzanhänger hervor. Mit einem Klack steckt sie ihn ins Schloss und sperrt auf. Sie lässt mich vortreten. Während ich an ihr vorbeigehe,werfe ich einen Blick in ihre dunkelblauen Augen, in denen ein schalkhaftes Lächeln spielt.
    »Gefällt Ihnen das Zimmer?«, fragt sie mit heller Stimme.
    »Ja«, das unweigerliche Krächzen.
    Das Mädchen steht unschlüssig da. Ihre rosige Haut schimmert wie Milch und Honig. Los, verabrede dich mit ihr für den Abend.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Ja.«
    »Gut. Dann angenehmen Aufenthalt.« Sie zögert noch. Ich bringe kein Wort heraus. Schließlich verabschiedet sie sich.
    »Also, dann auf Wiederschauen.«
    Ohne sich umzublicken, verlässt sie das Zimmer. Das Schloss rastet ein.
    Vorbei! Du hast es gerade nötig, dich über Fred lustig zu machen. Weder er noch sein Bruder Heinrich hätten sich je eine solche Gelegenheit durch die Lappen gehen lassen. Kein normaler Mann! Nur du Schwächling.
    Erst jetzt beginne ich das Zimmer wahrzunehmen. Es ist ein schmaler weißgetünchter Raum. Ein ockerfarbener Spanfaserschrank, Nachttisch und Bett sind mit hellem Fichtenfurnier überzogen. Federbett und Kopfkissen spannen sich in schneeweißen gestärkten Bezügen. Mich überkommt ein Gefühl der Schwäche. Ich werfe mich angezogen aufs Bett. Mir ist plötzlich kalt. Ich winde mich ins schwere Federbett. Warum bin ich so ein Feigling und Versager? Was gehört schon dazu, so ein Mädchen anzusprechen, noch dazu wenn es nur darauf wartet? Vielleicht ist es Angst vor der Zurückweisung, vor dem Versagen, die mich,wie schon so oft zuvor, auch dieses Mal gelähmt hat. Egal, Rubinstein! Gerade jetzt wirst du das Rätsel deiner verfahrenen Psyche kaum meistern. Du bist hierher gekommen, um dich von deinen Problemen zu lösen und neue Kraft zu schöpfen und nicht um neue, quälende Selbstanalysen anzustellen. Also los, auf! Raus aus diesem Zimmer!
    Ich springe aus dem Bett. Werfe einen kurzen Blick in den Spiegel über dem breiten Waschbecken. Komische Augen. Ihre Farbe zwischen Grau, Grün und Blau ist ebenso unbestimmt wie ihr Ausdruck: nach innen gekehrt und gleichzeitig nach außen strebend, schalkhaft und zugleich melancholisch. Jetzt ist nicht die Zeit für narzisstische Selbstbetrachtungen, Rubinstein. Ich werfe die Tür hinter mir zu. Absperren ist nicht nötig. Das Zimmer ist leer, außerdem müsste ich dann unten den Schlüssel wieder abgeben. Ich galoppiere die Treppe hinunter, gehe durch den Nebeneingang auf die Straße. Gut, dass ich die Karre hier habe. Nach etwa 500 Metern auf der Hauptstraße passiere ich die südliche Ortsdurchfahrt. Rechts erstrecken sich hellgrüne Wiesen, die hinter den Bahngleisen in Wald übergehen. Zur Linken liegt das kleine Ortskrankenhaus, an das sich ein Birkenwäldchen anschließt, dahinter folgt ein schmaler, in der Mitte von hohem Gras bewachsener Feldweg. Nach einer sanften Linkskurve wird hinter einer Ziegelmauer, an die sich ein Stacheldrahtzaun anschließt, eine Gruppe Fichtenbäume sichtbar: der jüdische Friedhof.
    Ich stelle das Auto an einer Abzweigung des Feldweges ab. Aus dem Handschuhfach fische ich die blaue Kippa 1 heraus, setze sie auf meinen Kopf und hole dann das kleine Gebetskompendium hervor. Wie wohl unzählige Generationen vor mir führe ich das schwarze Büchlein unwillkürlich an meine Lippen. Ich schreite auf das Eisengittertor zu. Fred hat sich sonst immer den Schlüssel bei dieser Frau geholt, die vom »Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Bayern« mit der Friedhofspflege betraut ist. Ich habe aber keinen Nerv, mir das stundenlange Gelabere und Gefrage der Alten anzuhören. Vorsichtig greife ich zwischen die eisernen Pfeilspitzen des Tores und ziehe mich hoch, von der Krone springe ich etwa zwei Meter hinunter. Der Grasboden unter mir gibt ein wenig nach. Zu meiner Rechten ziehen sich lange Gräberreihen hin. Links steht die frisch getünchte runde Aussegnungshalle. Sie wurde erst 1935 fertiggestellt, Fred erzählte mir, dass damals in der Gemeinde heftiger Streit darüber ausgebrochen sei, ob man in einer Zeit der Diskriminierung einen neuen Gemeindebau

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