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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Seligmann
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die Tugenden meines Volkes besinnen: Ausdauer, Beharrungsvermögen und Zähigkeit. Ich muss das Abi schaffen und dann nach Israel ziehen. Wenn ich hier bleibe, geht meine Kraft durch die neurotische Situation eines Juden im Nachauschwitz-Deutschland verloren.

WEHRLOS
    »Jonny, hast du dich überhaupt schon um dein Studium gekümmert?«
    »Nein.« Esel scheint also die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, dass ich vielleicht doch noch das Abitur schaffe.
    »Weshalb nicht? Das Studium beginnt bereits im Herbst, da muss man sich vorher anmelden, sonst verlierst du wieder ein Jahr.«
    »Weil ich nicht die Absicht habe zu studieren.«
    »Bist du jetzt vollständig verrückt geworden? Weshalbhast du dich jahrelang abgeplagt, um das Abitur zu machen, wenn du überhaupt nicht studieren willst? Wieso hast du mich dann gezwungen, zur Frau Dr. Schneeberger zu gehen und sie anzuflehen, dich zu versetzen?«
    »Weil ich das Abitur brauche.«
    »Also bist du doch vernünftig. Du wirst noch zwei Wochen lernen, das Abitur machen und dann Betriebswirtschaft studieren. Das ist ein hervorragendes Studium. Ich habe mich erkundigt. Du kannst dann Steuerberater werden und ausgezeichnet verdienen.«
    »Ich werde aber nicht studieren, zumindest nicht in München.«
    »Was soll das heißen, nicht in München? Wir wohnen in München, also wirst du in München studieren.«
    Merkwürdig, heute lässt mich ihr Gezeter kalt.
    »Nein!«
    »Was heißt nein? Weshalb denn nicht?«
    »Weil ich nach Israel gehen werde.«
    »Bist du denn vollkommen verrückt geworden? Da stecken sie dich sofort zum Militär!« Endlich tobt sie.
    »Na und?«
    »Was heißt na und, du Idiot? Was, meinst du, tun sie dort beim Militär? Sie schicken die Soldaten dauernd an die Grenze, wo geschossen wird. Und dann führen sie Krieg, wie im letzten Jahr. Über 700 junge Burschen sind gefallen. Hast du mal an ihre Mütter gedacht?«
    Nein. »Auch hier sterben junge Leute. Bei Verkehrsunfällen zum Beispiel.«
    »Darum sollst du auch nicht dauernd wie ein Verrückter Auto fahren.« Der Frau fehlt jeder Funken Humor – sogarschwarzer. »Außerdem sterben auch in Israel junge Leute im Verkehr. Aber der Krieg! Das Militär! Dauernd muss man Angst haben. Ich könnte das nicht aushalten. Drei Jahre lang. Und noch dazu in Israel! Die Jungens dort gehen im Urlaub zu ihren Eltern. Und du? Du hättest dort niemanden. Weißt du, was das heißt, drei Jahre fort von zu Hause? Außerdem gehen dort die Burschen mit 18 zum Militär und sind mit 21 schon fertig. Und du bist schon 21. Wann willst du überhaupt noch studieren?«
    »Gar nicht.«
    »Dann sag mir endlich, was du machen willst!«
    »Vielleicht bleibe ich in der Armee.«
    »Gewalt geschrien! Jetzt bist du wirklich vollkommen meschugge geworden. Jonathan Rubinstein als Berufssoldat! Schau dir doch die Jungens an, die das machen. Bauernburschen aus den Kibbuzim, gesund wie junge Ochsen. Und sogar diese armen Jungens werden spätestens nach ein paar Jahren umgebracht oder zu Krüppeln geschossen. Und du? Schmal, nervös, dauernd krank. Du würdest dort sofort zugrunde gehen.«
    »Es käme auf einen Versuch an.« Was sie sagt, stimmt ja. Aber soll ich mich deshalb unter Naturschutz stellen lassen?
    »Versuch! Wenn man tot ist, gibt es nichts mehr zu versuchen!«
    »Aber wenn die Vögel da unten ihr Leben riskieren, warum soll ich es nicht auch tun?«
    »Weil die dort sitzen und du hier.«
    »Auch ich will dort sitzen.«
    »Das kann dir ohne Weiteres passieren, du Idiot. Vor einpaar Tagen ist mit der Post ein Musterungsbescheid von der israelischen Armee gekommen.«
    Donnerwetter – die Burschen antworten prompt.
    »Was willst du jetzt tun?«
    »Ganz einfach. Das Abitur machen und dann rüberfahren.«
    Ihre zunehmende Aufregung und ihre Ratlosigkeit geben mir starke innere Ruhe.
    »Du bist nicht normal!« Ihre Stimme überschlägt sich. »Weißt du, was das bedeutet? Dass sie dich dann nicht mehr aus Israel rauslassen und du zum Militär musst.«
    »Das ist ja der Zweck der Übung.«
    »Du sprichst wie ein SS-Mann. Du kalter Idiot. Es geht doch um dein eigenes Leben, begreife das doch endlich!« Ihre Augen sind voller Tränen.
    »Esel, ich begreife es vollkommen …«
    »Du weißt nicht, was es heißt, tot zu sein.«
    »Du auch nicht. Es wird dir alles nichts helfen! Ich bin entschlossen, nach dem Abi nach Israel zu fahren und zum Militär zu gehen, falls ich tauglich bin.«
    »Dann sollst du durchs Abitur fallen!« Wieder überschlägt

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