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Rubinsteins Versteigerung

Rubinsteins Versteigerung

Titel: Rubinsteins Versteigerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Seligmann
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errichten sollte.
    Die mannshohen Steine der Gräberreihen bestehen meist aus schwarzem Marmor. Die unterste und oberste Reihe bilden KZ-Gräber. Urgroßvater liegt, soviel ich mich erinnern kann, in der vierten Reihe von oben. Ehe ich losschreite, hebe ich einige Steine auf, um sie an den Gräbern niederzulegen. 2 Die meisten Toten hier starben zu Beginn des Jahrhunderts. Das Gras und Unkraut zwischen den Gräbern ist fast kniehoch, auf den Wegen dazwischen reicht es bis an die Knöchel. Nach wenigen Schritten stehe ich vor Urgroßvaters Grabstein:
     
    Heinrich Rubinstein
    geb. 25. Juni 1840
    gest. 2. Mai 1902
     
    Der Bursche hat nicht mal die Geburt von Onkel Heinrich, seinem ersten Enkel, erlebt. Auch mein Großvater starb, ehe ich geboren wurde; deshalb trage ich seinen Vornamen. Aber Opa haben die Kerle wenigstens nicht umgelegt. Der liegt auf dem Ölberg in Jerusalem.
    Fred, dessen Weichheit ich so verachte – weil sie mich an meine eigenen Schwächen erinnert –, hat seine ganze Familie gerettet. 1934 und 1935 hat er wie ein Blödmann in Palästina geschuftet, um seinen Eltern und den jüngeren Geschwistern die Schiffspassagen zahlen zu können. Als er zwanzig Jahre später auf dem Trockenen saß, haben sie es ihm gedankt: »Friedrich, du wolltest sowieso schon immer nach Deutschland zurückkehren, und außerdem ist unsere wirtschaftliche Situation im Moment alles andere als rosig, wie du sicher weißt.«
    Scheiß drauf! Freu dich lieber darüber, dass dein Vater seine Eltern gerettet hat, als dich über die Undankbarkeit der Rubinsteins zu ärgern, noch dazu am Grab deines Urgroßvaters. Ich lege einen Stein auf das Grab und spreche das Kaddischgebet 3 . Dann stapfe ich weiter. Nach etwa zwei Dutzend Gräbern stehe ich am Ende des neueren Friedhofsteils. Inmitten einer schmalen, mit fast meterhohem Gras und Gestrüpp bewachsenen Wiese erhebt sich das alte, baufällige Aussegnungshäuschen. Dahinter beginntder älteste Friedhofsabschnitt. Hier ruhen Tote aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Ich schiebe mich vorwärts. Vor dem verfallenen Bau, an dessen Wänden sich tiefe Risse ziehen, sind mehrere beschädigte Grabplatten aufgestapelt. Ihre Oberfläche ist grau, die hebräischen Buchstaben sind mit einer dunkelgrünen Pilzschicht überzogen. Fertig zum Abtransport in die Steinmühle.
    Ich lege meine Steine auf die Platten und murmele den ersten Satz des Kaddischs, den ich auswendig kann. Also denkt doch noch jemand an diese Toten – und wenn es auch nur Jonny Rubinstein ist. Ich trotte weiter. Das Gestrüpp geht in eine Unkrautwiese über. Hier und da taucht ein von Moos fast vollständig bedeckter rundbögiger Grabstein auf. Die Inschriften sind nicht mehr erkennbar. Viele Steine sind bereits halb oder ganz umgesunken. Vorsichtig gehe ich zwischen den Gräbern weiter.
    Vor mir liegt jetzt der Abschnitt, der im letzten Jahrhundert als Friedhof diente. Ich war noch nie hier. Nach wenigen Schritten hügelaufwärts bin ich in der obersten Reihe. Die Grabsteine sind fast alle aus rotem Backstein. An ihrer Frontseite klebt meist eine schmale weiße Marmortafel. Darauf sind mitunter die segnenden Hände der Cohanim, der Angehörigen der früheren Priesterkaste, oder ein Krug als Symbol des Stammes Levy hervorgehoben. Darunter Segenssprüche in Hebräisch, abschließend ist der Name des Verstorbenen in altdeutschen Schriftzeichen eingemeißelt, dahinter das Todesjahr. Die häufigsten Namen vom ersten Teil des Gottesackers wiederholen sich auch hier stetig. Gerstle, Heimberger, Sulzer, Cohn, Bernheimer … Plötzlich bleibe ich stehen: Rubinstein! Rubinstein? Fredhat mir nie erzählt, dass auch hier ein Rubinstein liegt. Und was für einer:
     
    Isaak Jonathan Rubinstein
    gest. Siwan 4 5620
     
    Also der Vater von Heinrich Rubinstein, das heißt mein Ur-Ur-Großvater. Ich als Ältester meiner Generation führe nun seinen Namen. Aber drei Jahre nach der Götterdämmerung des Dritten Reiches hat der Schrecken selbst im fernen Israel ausgereicht, dem Namen Jonathan den Vorzug vor Isaak zu geben. So heiße ich in den israelischen Papieren: Jonathan Yitzhak Rubinstein. Als wir 1957 nach Deutschland zogen, verschwand der Name Yitzhak wie von Geisterhand, er taucht auf keiner deutschen Urkunde auf. »Man kann dem Jungen doch nicht diesen Namen zumuten: Isaak, Itzig. Dann hänseln ihn alle: Jude Itzig, Nase spitzig, Beine heckig, Arschloch dreckig.«
    Dabei ist Yitzhak ein schöner Name: »… wird lachen.« Die

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