Rubinsteins Versteigerung
dieses Schwein! Endlich hat sie es fertiggebracht, die Stimmung der Liebe und des Verstehens, die nach meinerIchenhausenfahrt zwischen Fred und mir herrschte, zu zerstören und ihn stattdessen an die Demütigung meiner Schläge zu erinnern. Ich fühle, wie mir das Blut ins Gesicht schießt. Aber sie hetzt ungerührt weiter.
»Er soll es nur noch einmal wagen, die Hand gegen uns aufzuheben, dann rufe ich sofort die Polizei. Dann kann er in einer Erziehungsanstalt sitzen, statt das Abitur zu machen. Und du, du Schlappschwanz, nimm dich endlich zusammen und mache ihm unmissverständlich klar, dass wir mit allen, ja, mit allen Mitteln verhindern werden, dass er nach Israel geht. Wenn er unbedingt zugrunde gehen will, kann er es auch hier, und zwar sofort. Dazu muss er nicht nach Israel.«
»Jonathan, du hast auch Pflichten gegenüber deinen Eltern«, ruft er mit belegter Stimme.
»Aber nicht die, in diesem Naziland zu leben. Ich warne euch.«
Fred lässt den Kopf schwer auf seine Arme fallen, die auf der Tischplatte ruhen. Sein starker Schädel beginnt zu zucken, wird röter. Er schluchzt. Dann reißt er den Kopf hoch. »Ihr seid Lumpen, alle beide. Lasst mich in Ruhe!«
Diese Sau! Was hat sie davon, ihn so fertigzumachen? Lass dich jetzt bloß nicht gehen. Sie wartet nur darauf. »Du Stück Scheiße!«, schreie ich und laufe in mein Zimmer. Ich höre ihr Geschrei von außen. »Die eigene Mutter ist ein Stück Scheiße, das 21 Jahre für dich gesorgt hat. Recht hat er. Wenn du dir das bieten lässt, Friedrich, dass man deine Frau so beleidigt.«
Bleib in deinem Zimmer, Rubinstein, sonst erreicht sie ihr Ziel wirklich noch in der letzten Minute.
»Halt die Schnauze, sonst komme ich raus und stopfe sie dir.«
»Versuch es doch. Sei doch mal so tapfer bei deinen Klassenkameraden.« Ich reiße die Türe auf. Sie steht direkt vor mir. Kerzengerade. Blickt mir in die Augen. »Unterweltler!« Nein! Ich gehe an ihr vorbei. Will zur Wohnungstür. Da sehe ich Friedrich. Er liegt auf der Couch und weint. Dicke Tränen kullern über seine rosigen Wangen, wie bei einem Kind. Das ist er in der Tat geblieben – bis heute. Ich knie vor ihm nieder, küsse ihn auf die Stirn und nehme seinen erhitzten Kopf in meine Arme. Er wehrt mich ab. »Lass! Lass mich bitte allein sein.« Der arme Kerl schämt sich. Ich stehe auf und gehe endlich zur Tür.
»Siehst du, was du gemacht hast, du Lump?« Ihre Augen blitzen.
Ich lasse die Tür zuknallen. Esel kennt jetzt nur ein Ziel, koste es, was es wolle. Allein schon deshalb muss ich weg – auch um jeden Preis –, und Fred steht wehrlos in der Mitte.
DER HEIRATSANTRAG
Morgen ist der letzte Physiktest. Ich sollte jetzt am Schreibtisch sitzen und pauken, damit ich weiß, wie meine Aktien stehen. Stattdessen flaniere ich über die Maximilianstraße. Macht nichts. In fünf Minuten bin ich zu Hause, und dann lege ich los.
Die Frau, die an der offenen Tür der 37er Tram steht, ist wirklich nicht ohne. Sie scheint sogar in meine Richtung zu gucken – soweit ich das aus dieser Entfernung beurteilenkann. Ein großgewachsenes blondes Frauenzimmer, gerade Beine. Wie ihre Titten beim Laufen wackeln! Sie rennt genau auf mich zu. Sie sieht Ruchale sogar recht ähnlich. Das gibt’s doch nicht. Es ist Ruchale! Mir ist nie bewusst geworden, dass Rachel eine attraktive Frau ist, die sich vor keiner Schickse verstecken muss, nicht mal vor Hilde.
»Sag mal, Jonny, hast du mich etwa nicht erkannt?« Sogar ihre helle Stimme gefällt mir mit einem Mal.
»Nein. Und ich muss sagen, du siehst heute ungemein gut aus.«
»Danke. Ich war gerade auf dem Weg in die Stadt, um mir leichte Sommersachen zu kaufen. Nach dem Abi will ich doch nach Israel. Und da hab ich dich gesehen und bin einfach an der Ampel ausgestiegen.«
Für diese dumme Pute ist das Abi eine Selbstverständlichkeit. Aber der kluge Jonathan Rubinstein muss zittern und bangen und sogar das schlechte Gewissen der Deutschen einsetzen, um seine kümmerliche Chance auf das »Deutsche Reifezeugnis« zu wahren.
»Klasse.« Ich krächze schon wieder.
»Komm, gehen wir spazieren.« Das Mädel zeigt Initiative. Gerade heute, wo ich unbedingt lernen muss.
»Ich dachte, du musst in deinen Englischkurs?«
»Den lasse ich einfach ausfallen.«
Und das aus Ruchales Mund! Das Lernen kann jetzt ein bisschen warten. Der Spaziergang wird ja nicht ewig dauern. Sicherheitshalber lenke ich sie über den Thomas-Wimmer-Ring Richtung Isartor, da muss man nicht
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