Ruby und Niall
Bus", sagte Ruby, "dann sind wir da."
Sie sahen sich kurz an, standen dicht beieinander und sahen sich ins Gesicht. Beide versuchten ein Grinsen, aber sie fühlten sich so unwohl bei dem Gedanken, was auf sie zukam, dass es gründlich misslang.
"Ich hab die Hosen gestrichen voll", flüsterte Ruby.
Obwohl Niall sich in der Öffentlichkeit gerne zurückhielt mit solchen Dingen, stellte er den Plastikbecher neben sich ab und nahm Ruby vorsichtig in den Arm. Bislang hatten sie in kurzer Zeit viel miteinander geteilt, aber es war viel zu kurz gewesen, um sich näher kennenzulernen. Und um die sehr privaten Dinge miteinander teilen zu können.
Niall hielt sie eine Weile fest, Ruby legte ihre Arme um ihn und lehnte ihre Stirn an seine Brust. Noch war sie einen halben Kopf kleiner als er, im Sommer trug sie immer Absätze und würde auf gleicher Höhe sein mit ihm. Ihr kam der Gedanke, ob sie sich in Boston ab und zu über den Weg laufen würden, so, wie es in Winslow passiert war.
Ich kann ihn nicht einfach fragen, was er hier regeln muss
, dachte sie,
er hat ja kaum etwas Privates von sich erzählt. Und er hat nicht mal ein Handy, ich kann ihn nicht einfach anrufen, wenn ich ihn sehen will. Und ich will ihn wiedersehen, verdammt
.
Als es Zeit wurde, in den Bus nach Boston zu steigen, sagte Ruby, er solle eben auf ihre Tasche aufpassen und verschwand Richtung Toiletten. Nur einen kurzen Moment lang dachte sie daran, das Weite zu suchen, nach draußen zu flüchten und in irgendeinen anderen Bus zu steigen. Alles, was sie in die Tasche gestopft hatte, war ersetzbar. Geld und ihre wenigen wichtigen Unterlagen trug sie in der Innentasche ihrer Jacke. Es wäre so einfach, einfach in einen der Busse zu steigen und irgendwo allein ganz neu anzufangen. Nicht das erste Mal, dass sie so etwas getan hätte.
Aber sie musste wirklich auf die Toilette und es war an der Zeit, endlich nicht mehr davonzulaufen.
Niall hatte einige Probleme, in den Bus zu steigen, weil die Tür zu schmal und die Stufen zu hoch waren, um die Krücke zu benutzen. Er warf die Krücke hinein, nachdem Ruby eingestiegen war und hüpfte auf dem gesunden Fuß die Stufen nach oben. Der Busfahrer zeigte ein entschuldigendes Achselzucken, schloss die Tür und ließ den Bus anrollen.
Ruby hatte ihre Taschen unter den Sitz verstaut und den Platz am Fenster eingenommen.
"Wenn du am Gang sitzt, hast du mehr Platz für den Gips", sagte sie.
Der Bus war halb leer, es roch nach nassen Klamotten, nach Schnee, Benzin und Gummi.
Auf den Überlandstrecken waren die Busse besser ausgestattet und komfortabler; dieser hier sah aus, als hätte man ihn das letzte Frühjahr gesäubert und überholt. Die Sitze waren unbequem und Ruby hatte recht; wenn er seinen Gips verstauen wollte, ohne Wadenkrämpfe zu bekommen, musste er das Bein zum Gang rausstrecken.
"Wenn du jemandem bescheid sagen willst, dass du unterwegs bist, kannst du mein Handy benutzen", sagte Ruby.
"Was ist mit dir?", entgegnete Niall, "hast du dich schon angekündigt?"
"So, wie's aussieht, überraschen wir unsere Leute mit dem Besuch, was?"
Niall rutschte ein Stück näher an sie heran, Ruby lehnte sich gegen ihn, zog die Jackenärmel über ihre kalten Hände.
"Meine Schwester lebt in Boston und meine Eltern glauben die Geschichten, die sie ständig erzählt. Erfolgreich und glücklich. Das ist ihre Version. In Wirklichkeit sieht alles nicht so strahlend aus."
"Du wirst auf schönes Wetter machen müssen, wenn du sie dazu überreden willst, dich aufzunehmen."
"Nur vorübergehend."
"Selbst, wenn sie dich auf dem Fußboden schlafen lässt, wirst du Danke sagen müssen."
Ruby setzte sich mit einem Ruck auf und ließ sich sofort wieder in den Sitz zurückfallen.
"Du hast ja recht", seufzte sie, "aber ..."
"Kein aber", sagte Niall.
Ruby verstummte, drückte sich wieder an ihn und nach einer Weile dachte Niall, sie sei eingeschlafen, aber als er sich zu ihr herumdrehte, starrte sie mit einem düsteren Gesichtsausdruck vor sich hin. Sie war nicht traurig oder ängstlich, sie war wütend. Mit wütenden Frauen konnte Niall überhaupt nicht umgehen; und um das zu überspielen, wagte er einen Schritt nach vorn und begann zu erzählen, was er in Boston gemacht hatte.
"Oh mein Gott", sagte Ruby, "den kenn ich, den hab ich im Fernsehen gesehen."
"Bevor ich für ihn gearbeitet hab, kannte ich ihn auch nur von seinen Büchern und aus dem Fernsehen. Und er ist im richtigen Leben noch größer."
"Wenn du mir hier Schmu erzählst,
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