Ruby und Niall
schubse ich dich aus dem Bus, wenn wir angekommen sind", sagte sie, "Mann, bei dir weiß ich nie, was ich dir glauben kann, und was nicht."
Die zwei Stunden kamen ihnen sehr lang vor, und als der Bus in die Station einrollte, warteten sie, bis alle Passagiere ausgestiegen waren. Niall hinkte in den Gang und ließ Ruby den Vortritt, warf ihr dann die Taschen durch die Tür nach unten.
"Und jetzt kommt die Krücke", rief er, warf sie ihr entgegen und Ruby fing sie mit einer Hand, schwenkte sie wie ein Schwert um ihre Seite herum.
"Musashi-San", sagte Niall in einem ernsten Ton und sie lachten laut darüber. Sie hatten sich über das Buch unterhalten und darüber, dass man sich ein Leben lang weiterentwickeln und an sich arbeiten musste.
"Japaner vielleicht", hatte Ruby gesagt, "aber wir doch nicht."
"Wo geht's hin?", fragte Niall, "wo lebt deine Schwester?"
Boston
Aus der Innenstadt Richtung South End wurden sie schnell in einem Station Wagon mitgenommen, von einem Mann, der als Dachdecker bei dem Wetter keine Arbeit fand und sich mit anderen Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Er war auf dem Weg zum nächsten Job.
"Große Kacke", sagte der Mann, "jetzt mit 'ner Krücke unterwegs zu sein."
"Ich hab mich schon fast daran gewöhnt", sagte Niall. Die Krücke lag quer über seine Oberschenkel, er hockte auf der Rückbank, die Taschen neben sich auf dem durchgescheuerten Polster und er versuchte das rege Gespräch zwischen Ruby und dem Fahrer zu verfolgen. Sie unterhielten sich über irgendeine regionale Sportmannschaft, von der er noch nie etwas gehört hatte und das "große Kacke" des Fahrers hörte er in mindestens jedem zweiten Satz.
South End war keine schöne Vorstadtsiedlung mit einstöckigen Holzhäusern, sondern angefüllt mit ganzen Straßenzügen aus alten roten Backsteinhäusern, die ihre besten Zeiten lange hinter sich gelassen hatten. In den wenigen besseren Straßen standen noch Bäume und es lag weniger Müll herum, aber als Ruby dem Fahrer sagte, er könne hier anhalten, fanden sie die Straße in einem desolaten Zustand vor. Es war deprimierend.
"Hier müsst ihr hin?", fragte der Dachdecker, sah sich um und sagte wieder: "Große Kacke."
Er ließ sie aussteigen, sie standen in knöcheltiefem matschigen Schnee und winkten ihm hinterher.
Ruby machte ein unglückliches Gesicht und murmelte leise: "Verdammt, Helen. Das ist nur eine Handbreit besser als der Trailerpark."
"Hast du sie hier nie besucht?", fragte Niall.
"Ich hatte die Adresse nur von ein paar Briefen." Sie nannte die Hausnummer und Niall deutete mit dem Kinn die verschneite Straße hinunter.
"Da müssen wir runter."
Sie bewegten sich langsam, mit Rücksicht auf Nialls Krücke, Ruby hakte sich an seiner Seite in seine Armbeuge.
"Mir ist kalt", sagte sie, "bleibst du bitte bei mir? Ich kann ein wenig Hilfe gebrauchen."
"Wir schaffen das schon." Niall klang zuversichtlicher, als er in Wirklichkeit war. Er wusste nicht, was zwischen Ruby und ihrer Schwester vorgefallen war, aber er wusste, wie ätzend solche Familienangelegenheiten sein konnten.
Ruby flüsterte: "Ich hatte absolute Wunschvorstellungen von ihrem tollen Zuhause. Jetzt hoffe ich nur noch, dass das Haus in Ordnung ist. Eine Bruchbude könnte ich nicht ertragen."
Niall hatte die vage Vorstellung davon, dass Helens Wohnung sehr sauber und sehr aufgeräumt sein würde, egal, wie das Haus von außen aussah. Aber wenn sie hier lebte, konnte es ihr finanziell nicht besonders gut gehen.
"Hier", sagte Ruby, "gehen wir's an."
Sie standen vor dem Gebäude, das sich von den anderen nicht unterschied; es war weder besser noch schlechter, aber zumindest war der Treppenaufgang sauber geräumt vom Schnee und Niall hatte keine Probleme mit seiner Krücke.
Morbide Schönheit
, dachte Niall.
"Sie wird bei der Arbeit sein", sagte er, "sollen wir irgendwo auf sie warten?"
"Helen hat keinen normalen Job, sie ist zu Hause um diese Uhrzeit."
Die Haustür war nur angelehnt und in dem dunklen Hausflur roch es nach Bleiche und schwach nach Windeln, was von einem abgestellten Kinderwagen herrühren mochte. Ruby schob den Kinderwagen ein Stück zurück, setzte den zerfledderten Teddy zurecht, den die Mutter darin vergessen haben musste.
"Als wen soll ich dich vorstellen?", fragte sie.
Niall hatte einen Blick auf die Namensschilder der Briefkästen geworfen und erst da war ihm eingefallen, dass er ihren Nachnamen nicht einmal kannte.
"Wie heißt sie mit Nachnamen?"
"Tucker. Darf ich sagen, dass wir zusammen
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