Ruchlos
mich darauf und auf alles andere. Die Angst vom Vormittag schien verschwunden.
Ich hatte mich gerade mit meinem Essen hingesetzt, als Andreas nach Hause kam. Erstaunlich früh für die Zustände in der Redaktion.
»Hi! Hast du wirklich alles hingeschmissen?« Zugetraut hätte ich es ihm.
»Nein. Wir haben bis auf Weiteres zusätzlich eine große Eigenanzeige spendiert bekommen.« Er ließ sich auf einen Stuhl fallen. »Und Jonas hat mich mit dem Auto mitgenommen.«
›Jonas‹, dachte ich. Warum duzte er den Schnösel?
Andy schien erst jetzt den Teller vor mir wahrzunehmen. Er schnupperte. »Du hast gekocht?«
»Gemüse und Kartoffeln sind noch da. Wenn du ein Kotelett willst, musst du dir eins braten.«
Andy winkte ab, ohne darauf einzugehen, ob er seinem Magen noch kein Fleisch zumuten wollte oder einfach zu erschöpft war, um es zuzubereiten. Er bediente sich aus den Töpfen und setzte sich mir gegenüber, krempelte die Ärmel seines Hemdes hoch.
»Schmeckt gut«, sagte er nach einigen Gabeln. »Ich glaube, ich habe den Virus so weit überstanden. Gleich trinke ich noch einen Magenschnaps, und dann war’s das.« Er aß heißhungrig weiter. »Also, wie kam es zu der seltenen Anwandlung? Willst du dich nach deinem journalistischen Fauxpas auf hausfrauliche Tätigkeiten konzentrieren?«
Dieser Kindskopf – einen Schnaps bei einem kaum ausgestandenen Magen-Darm-Infekt! Und: Sehr nett von ihm, mir unter die Nase zu reiben, dass ich selbst schuld war an meiner Situation.
»Nur so. Ich war hungrig.«
Ich hatte meine Mahlzeit beendet und schob den Teller von mir. Andy nahm noch eine Gabel Porree, stützte dann die Ellenbogen auf.
»Jonas ist jetzt fest im Team.«
»Was? Als neuer Lokalredakteur? Ich denke, wir haben Einstellungsstopp.«
Andy ließ die Unterarme auf den Tisch sinken. »Zunächst als Pauschalist – mit der Aussicht auf mehr.«
»Das heißt … Nein! Sag, dass das nicht wahr ist! Die wollen mich dauerhaft ins Archiv verbannen und dafür diesen geleckten Hampelmann anstellen?«
»Dauerhaft verbannen können sie dich nicht. Wir gehen zur Gewerkschaft und machen richtig Ärger.«
Er fasste über den Tisch nach meinen Händen. Ich zog sie zurück.
»Du duzt dich mit ihm. Du bist froh, ihn zu haben – Hauptsache, du bekommst die Zeitung hin.«
»Ja, ich bin froh, ihn zu haben«, entgegnete Andreas in ruhigem Tonfall, was mich nur noch mehr aufbrachte. »Er ist gut. Hast du seinen Artikel über die Straßenbauarbeiten in Reick gelesen? Der langweiligste Termin der Welt – und er hat eine schöne Geschichte daraus gemacht.«
Als ich nicht reagierte, stand er auf und holte die Flasche Becherovka aus dem Regal über dem Tisch, stellte zwei Schnapsgläser auf den Tisch. Ich schüttelte den Kopf und ging hinaus.
*
Am nächsten Morgen wurde ich früh wach – und sofort war die Übelkeit wieder da. Schlaftrunken schlich ich ins Bad und übergab mich, verspürte danach wie gehabt Hunger. Ein seltsamer Zustand war das. Ich zog meinen alten gestreiften Morgenmantel über und setzte Teewasser auf.
Andreas schlief noch. Die Tatsache, dass er noch immer so krank war, hatte meinen Zorn mehr beruhigt als mein langer Spaziergang, auf dem ich immer und immer wieder hatte daran denken müssen, dass der gestylte, aufgeblasene Jonas für mich eingestellt werden sollte.
Ich gähnte, holte Geschirr aus dem Hängeschrank, deckte den Tisch. Andy hatte aufgeräumt und gespült, alles war blitzblank. Eine angenehme Abwechslung zu dem Chaos, das sonst meist in unserer Küche herrschte. Mit einem Becher Tee setzte ich mich an den Tisch, streckte die Beine aus. Es war erst halb acht, ich konnte also in aller Ruhe frühstücken und mich trotzdem pünktlich um neun im Archiv einfinden. Auch wenn ich noch immer wütend war: drücken würde ich mich nicht.
»Morgen.« Nur mit Boxershorts bekleidet, kam Andreas in die Küche. »Ich muss zwölf Stunden geschlafen haben.« Er beugte sich herunter und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Seine Haut strahlte Wärme aus und roch verschwitzt. » Seit wann bist du denn schon wach?«
»Noch nicht so lange.«
Er blinzelte und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. » Bist du noch sauer? Es stimmt: Ich hab gekniffen. Ich hätte ihnen die Pistole auf die Brust setzen sollen – uns beide gibt’s nur zusammen, oder so.«
»Das wäre ziemlich albern gewesen«, fand ich.
»Meinst du?« Erleichtert seufzte er auf und rieb sich die Augen. »Ich glaube, ich vertrage wieder
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