Ruchlos
Amerikanerin. Eine Extrem-Fernbeziehung. Sie schienen es gut hinzukriegen. Ob Kinder in ihrer Lebensplanung eine Rolle spielten? Dale hatte immer welche gewollt und Jess war so alt wie ich. Viel Zeit blieb ihnen also auch nicht mehr.
Endlich verließ ich die Kabine, warf das Teststäbchen in den Mülleimer und häufte etliche zerknüllte Papierhandtücher darauf. Ich betrachtete mein Spiegelbild, um festzustellen, ob ich anders aussah als sonst. Vielleicht war der Ausdruck meiner grün-grau gesprenkelten Augen ernster. Ich wirkte müde, in den langen braun-roten Haaren fielen etliche graue Fädchen auf. Ich fuhr mit den Händen durch sie hindurch, ging an meinen Schreibtisch und fuhr mit der Arbeit fort.
*
Andreas verbrachte den Vormittag fast komplett in der Chefetage. Ich wusste, dass er für mich den Kopf hinhielt, und fühlte mich grauenhaft. Sorgfältig machte ich meine Arbeit, unsicherer, als ich es an meinem ersten Tag als Praktikantin gewesen war. Die Gedanken an den toten Heinz Wachowiak unterdrückte ich. Vermutlich hatte ich sowieso weiße Mäuse gesehen.
Gegen Mittag, ich telefonierte gerade, erschien Andreas im Eingang der Redaktion. Er lehnte sich an den Türrahmen, bleich wie die gekalkte Wand daneben, und bedeutete mir, in sein Büro zu kommen.
»Jetzt rate ich dir definitiv, einen Krankenschein zu nehmen«, sagte er, als ich vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatte.
»Wenn jemand einen Krankenschein braucht, dann du«, entgegnete ich. Ich fühlte mich wieder etwas wohler in meiner Haut.
»Wer weiß, vielleicht hole ich mir einen – nur, um ihnen einen reinzuwürgen.« Er richtete sich ruckartig auf. »Du bist strafversetzt. Ich konnte nichts machen. Selbst der Müller nicht. Das kommt von ganz oben.«
»Seltmann.« In mir krampfte sich alles zusammen.
»Höchstpersönlich.«
Der neue Geschäftsführer. Vor einem halben Jahr war die Zeitung verkauft worden; seitdem galt Wirtschaftlichkeit als oberste Priorität. Journalistische Fehlleistungen, die Anzeigenkunden verprellen konnten, waren natürlich unverzeihlich.
»Wohin?«
Andy schaute mich fragend an.
»Wohin bin ich strafversetzt?«
»Ins Archiv. Aber, wie gesagt: Ich an deiner Stelle würde mir einen Schein nehmen. Schon damit sie sehen, dass sie so etwas nicht machen können. Du solltest auch Widerspruch einlegen, vielleicht zur Gewerkschaft gehen … Immerhin bekommst du dein bisheriges Gehalt weiter«, schloss er etwas zusammenhanglos.
»Okay«, sagte ich.
»Was, okay?«, brauste er auf. »Das ist nicht okay. In keinster Weise. Du hast einen Fehler gemacht – aber du hattest auch viel zu viel Stress. Das interessiert niemanden!
Wenn Müller mich nicht gerade aus dem Büro geschoben hätte, hätte ich auf der Stelle gekündigt!«
Ich liebe ihn, dachte ich voller Überschwang. »Andy – »Es klopfte an der Tür, gleichzeitig klingelte das Telefon. Andreas seufzte. Ich lächelte ihn an und stand auf, öffnete die Tür, vor der schon wieder Jonas Michaelis stand.
»Sie werden noch mal oben erwartet«, sagte er zu Andreas, ohne mich eines Blickes zu würdigen.
*
»God it hurts so«, sang ich laut zu den Pretenders, die aus den Boxen im Wohnzimmer dröhnten, mit und meinte es genau so. In der Redaktion hatte ich mich gleichmütig gegeben, meine Arbeit beendet und in Ruhe zusammengepackt, ohne jemandem von der Schmach zu erzählen. Sobald das Gebäude in der Prager Straße hinter mir lag, stieg indes Wut in mir auf.
Nun stand ich in der Küche und kochte, was mir half, mich abzureagieren. Unter der Woche gab es bei uns sonst meist Pizza oder schnell gemachte Nudeln, oft genug auch nur Brot: mir war jedoch nach etwas Handfestem, Gutbürgerlichem: Kassler-Kotelett, Lauch, Salzkartoffeln.
Krankmachen kam nicht infrage. Das wäre eine Flucht. Ich würde mich morgen früh im Archiv einfinden und die mir zugewiesene Arbeit erledigen. Lange würden sie mich nicht dort lassen können. Nicht, solange wir so knapp besetzt waren. Und erst recht nicht, wenn sie mir ein Redakteursgehalt zahlen mussten.
Langsam beruhigte ich mich. In ein paar Monaten würden sowieso andere Fragen im Vordergrund stehen. Ich strich über meinen Bauch in der lose sitzenden Cordhose. Fast hatte ich den Eindruck, ich hätte bereits zugenommen. Normalerweise war ich eher dünn, in Stresszeiten neigte ich dazu, nichts zu essen. Nun würde ich also rund werden. Mein Busen nahm vermutlich die Größe an, die ich mir immer schon gewünscht hatte. Ich freute
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