Ruchlos
begleiten, aber sie wollte den Jugendlichen nicht wieder begegnen. Nun saß ich also im Kneipenraum des Cool Che in der Adlergasse, direkt um die Ecke von Heinz Wachowiaks Wohnung, vor mir einen Kirsch-Bananen-Saft, und schaute mich um.
Ich war die Älteste hier und fragte mich, ob ich deswegen auffiel oder unsichtbar war. Ich hatte Jeans und ein enges T-Shirt angezogen, was mich ein paar Jährchen jünger machte, dennoch schienen die Mädchen am Nachbartisch aus einer komplett anderen Welt zu stammen.
Es fühlte sich an, als würde das Shirt über den Brüsten spannen. Wieder strich ich mir über den Bauch unter der Hose.
Es war kurz nach neun, und der Raum schon gut gefüllt. Später sollte es im Keller noch ein Konzert einer Berliner Band geben, auch dorthin strömten schon einige Besucher. Hier oben lief ruhiger Brit-Pop. Coldplay, wenn ich mich nicht täuschte.
Hinter der Theke stand ein Mann Anfang 20, mit einer gepiercten Oberlippe und Schlägermütze auf dem dichten Haar, an den Tischen bediente eine junge Frau mit ausladender Oberweite und glänzenden, blonden Haaren. Sie alberte gerade mit den Mädchen neben mir herum. Ich nahm mein Saftglas und schlenderte zur Bar, vor der gerade niemand sonst wartete.
»Ja?«
»Habt ihr Schokolade?«
»Zum Essen? Ich glaube nicht.« Er drehte sich um und kramte in den Regalen hinter sich. »Einen Marsriegel kann ich Ihnen geben.«
Ich nickte. Natürlich siezte er mich, da konnte ich noch so anbiedernd daherkommen. Nachdem ich bezahlt hatte, blieb ich an der Theke stehen, riss die Verpackung auf und biss in die süße, klebrige Masse. Wie jetzt weiter? Die Bedienung kam zur Bar, gab ihre Bestellung auf. Ich genoss meinen Schoko-Kick.
»Ist ganz schön viel los hier?« Ich hob die Stimme zum Schluss des Satzes leicht an, um daraus eine Frage zu machen.
Der Mann stand am Bierhahn, zuckte die Schultern. »Freitagabend.«
»Es gab vor einiger Zeit mal so eine dumme Kampagne, bei der unterstellt wurde, ihr hättet Gelder gegen rechts zweckentfremdet. Das hat euch dann wenigstens nicht längerfristig geschadet.«
Mit leicht zusammengekniffenen Augen taxierte er mich: » Das war keine dumme Kampagne, das stimmte. Unsere Vorgänger hatten es sich da etwas zu einfach gemacht.«
»Ach so, dann wurde das Personal ausgetauscht – die Leitung zumindest, vermute ich.«
»Nu.« Er reichte der Kellnerin die Gläser an.
»Begeistert werden die nicht gewesen sein«, warf ich hin.
»Ne, ganz und gar nicht«, bestätigte er. »Mirko und Ronnie«, sagte er in Richtung seiner Kollegin, die vorher mit ihrem Handy beschäftigt gewesen war.
»Ach je, die Chaoten!«
»Was machen die heute?«
Die junge Frau verteilte die Gläser gleichmäßig auf ihrem Tablett. »Mirko ist auf die Füße gefallen. Ist ja auch schon älter, der war der Chef. Ich glaube, der leitet heute wieder einen Club – allerdings in Freital oder so. Aber Ronnie.«
Sie beendete den Satz nicht, sondern drehte sich um und brachte die Getränke an einen großen Tisch.
»Warum interessiert Sie das?«, fragte der Mann mich.
Jetzt versuchte ich es mit Schulterzucken. »Ich habe von der Geschichte gehört.«
Plötzlich war draußen Tumult zu hören. Durch die Musik hindurch drangen hastige Schritte, ein Stolpern und Krachen, dann eine Stimme, die ich kannte:
»Ganz langsam. Niemand will dir etwas tun.«
Die Kellnerin trat auf den Flur hinaus, um nach dem Rechten zu sehen, ich war direkt hinter ihr. Dort half Dale einem jungen Mann aufzustehen.
»Da haben Sie Ronnie«, sagte sie trocken zu mir und fragte Dale, ob alles in Ordnung sei.
»Ja, alles bestens«, antwortete er. Im Aufschauen fiel sein Blick auf mich und er lächelte erstaunt.
Die Frau grinste müde und ging zurück in den Kneipenraum. Der Junge, bei dem es sich also um Ronnie handelte, gab ein unwilliges Geräusch von sich und versuchte, Dales Hand abzuschütteln. Er trug eine Art Armee-Parka und hatte strähniges, braunes Haar, dessen Ansatz bereits ein wenig zurückgewichen schien. Die blauen Augen glänzten glasig.
»Das ist Freiheitsberaubung!« Er klang betrunken.
Dale schob ihn in Richtung Ausgang. »Deine Mutter will nur mit dir sprechen.«
Offenbar war er wegen eines Familienproblems beauftragt worden. Als wir zusammen waren, hatte ich mitbekommen, wie häufig Leute bei solchen Schwierigkeiten einen Privatdetektiv einschalteten.
Er würde sich jetzt nicht um mich kümmern, sondern seinen Job erledigen. Und mich vielleicht morgen
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