Ruchlos
Mutter war, daneben stand eine schlaksige, hoch aufgeschossene Schönheit. Frau Kattner selbst und eine zweite Frau liefen umher, um Kaffee zu verteilen und Kekse anzubieten. Alle waren dunkel gekleidet. Ich entschuldigte mich für mein offensichtlich ungelegenes Erscheinen.
»Es ist in der Tat gerade nicht so günstig«, bestätigte die junge Frau und strich sich eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. »Wissen Sie, es gibt so viel zu besprechen und zu organisieren.«
»Ja, das kann ich mir denken.« Ich fragte mich, warum ausgerechnet sie, die alleinerziehend war und noch stundenweise als Verkäuferin arbeitete, wie sie mir am Mittwoch erzählt hatte, diese Organisation übernehmen musste. Und natürlich, ob eine der anwesenden Frauen Ronnies Mutter war. »Es geht auch ganz schnell.«
Michaela Kattner seufzte, ich fuhr rasch und etwas lauter als vorher fort: »Ich möchte Ihnen allen mein Beileid aussprechen. Ich habe Ihren Vater beziehungsweise Ihren Großvater aufgefunden« – eine weibliche Stimme gab ein »Oh« von sich – »und das lässt mich seitdem nicht los.«
Die Luft in dem kleinen Raum war so stickig, dass mein Kreislauf rebellierte. Ich musste mit einer Hand Halt an dem großen Regal suchen, vor dem ich stand.
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte die Frau in dem Sessel. »Michaela, du kannst sie nicht einfach so vor die Tür setzen. Nicht nach solch einem Erlebnis. Erzählen Sie einfach«, wandte sie sich im Therapeutentonfall an mich.
»Ich hatte den Eindruck, als sei er keines natürlichen Todes gestorben.« Gespannt wartete ich auf die Reaktionen.
»Das ist doch Unsinn«, meldete der ältere Herr sich mit sonorer Stimme zu Wort. »Was wollen Sie denn hier unterstellen?«
Wie kam er auf die Idee? »Natürlich will ich nichts unterstellen. Ich hatte einfach dieses Gefühl.« Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die rundliche, Anteil nehmende Frau nickte. »Ihr Vater war ein sehr aufmerksamer Bürger.« Ich nahm den Sohn fest ins Visier. »Ich arbeite bei der Dresdner Zeitung und wir verdanken ihm etliche Hinweise auf Missstände in der Stadt.«
Ich machte eine Pause, in die der Sohn ein zögerliches » Nu« platzierte.
»Vielleicht geht ja meine Fantasie mit mir durch, aber so jemand hat natürlich auch Feinde. Am vergangenen Freitag war Herr Wachowiak wieder einmal bei uns in der Redaktion. Leider hatte niemand Zeit für ihn, sodass wir nicht wissen, was er uns mitteilen wollte. Aber ich denke, es könnte von Bedeutung sein.« Ich holte tief Luft und schaute die Familienmitglieder der Reihe nach an. Niemand reagierte.
»Wissen Sie, wofür sich Ihr Vater – und Großvater – zuletzt interessiert hat?«, fragte ich direkt.
Die mädchenhafte Schönheit blickte aus dem Fenster, als ginge sie das alles nichts an, die Frau im Sessel hatte die Stirn in Falten gelegt, das ältere Paar wirkte unwillig, auch nur nachzudenken. Der junge Mann starrte auf die abgetretene Auslegeware, und Michaela Kattner und die andere Frau waren zu sehr von ihren hausfraulichen Pflichten vereinnahmt, um sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Leon schob den Arm seiner Verwandten, in den er sich hineingekuschelt hatte, zur Seite, richtete sich auf und sagte: » Vielleicht hatte es was mit Tante Marianne zu tun?«
»Wer ist Tante Marianne?«, fragte ich und tippte auf Ronnies Mutter oder sonst jemanden aus diesem Teil der Familie.
»Ach, Leon«, sagte die Frau neben ihm in seltsamem Tonfall.
Ich sah zu Michaela Kattner hinüber, die meinem Blick auswich.
»Nur eine Nenntante für Leon. Eine Bekannte meines Vaters«, erklärte der Sohn, das Thema abschließend.
»Warum meinst du, dass dein Ops uns etwas über die Tante Marianne sagen wollte?«, wandte ich mich direkt an den aufgeweckten Knirps.
»Na, weil sie doch so krank ist und er sich so aufgeregt hat.«
Der arme Kleine erntete unwillige Blicke von allen Seiten.
»Das ist ein Ansatzpunkt«, versuchte ich, die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. »Sagen Sie mir doch bitte, wie die Frau mit Nachnamen heißt und wo ich sie erreichen kann, dann werde ich dem mal nachgehen.«
»Ich denke eher, dass Sie sich mit den sogenannten Fans der SG Dynamo beschäftigen sollten«, entgegnete der Sohn. » Die neonazistischen Tendenzen dort haben meinen Vater sehr aufgeregt.«
Das glaubte ich bei Heinz Wachowiaks Biografie sofort, trotzdem fand ich es seltsam, dass die gesamte Familie anscheinend nicht bereit war, mir etwas über die Bekannte des alten Herrn zu
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