Ruchlos
nächsten Tage nur im Innendienst einzusetzen. Zu meinem eigenen Erstaunen hatte ich sofort zugestimmt. Nun bereitete ich das Layout für die Seiten vor und schrieb den Text über die neue Kampagne der Dresden-Touristik. Gleich würde ich ein Telefoninterview mit einem Dresdner Weltenbummler führen, später mit Simone einen Text durchgehen und Meldungen schreiben – und dabei die ganze Zeit daran denken, dass draußen in der Stadt Schläger unterwegs waren, die es auf mich abgesehen hatten.
Die Männer vom Vorabend hatte ich weder auf Fotos der Polizei noch auf Andys Aufnahmen vom Samstag erkannt, die Phantomzeichnungen, die nach meinen Angaben gemacht wurden, fand ich reichlich nichtssagend. Kommissar Clausnitzer hatte mir versichert, dass sie Zeugen aufspüren würden – am Zwinger, in oder vor unserem Haus. Ich war skeptisch. Wären am gestrigen Abend Menschen dort unterwegs gewesen, wäre schließlich alles nicht passiert. In der Böhmischen Straße konnten sie schon eher Glück haben. Immerhin schien Clausnitzer entschlossen, ›mit dem eisernen Besen zu kehren‹, wie er es ausdrückte. Auch Ronnie sollte noch einmal verhaftet und in die Mangel genommen werden. Vielleicht würde man von ihm weitere Hinweise auf Mitglieder des ›Sturmtrupp‹ bekommen.
Mir war alles recht. Ich klammerte mich daran, dass die Polizei möglichst viele der Schlägertypen dingfest machte und die Gefahr für Andy und mich damit kleiner wurde. Kleiner – nicht verschwunden. Ob sie jemals aus der Welt sein würde, konnte niemand sagen. Clausnitzer hatte mich nicht geschont, sondern außer von den realen Gruppierungen vor Ort auch von den Internet-Netzwerken gesprochen, in denen die Feinde der Nazis mit ausführlichen Beschreibungen aufgelistet waren. Es sei zu vermuten, dass unsere Namen und Steckbriefe bereits dort kursierten. Wenn ich nur daran dachte, lief es mir kalt über den Rücken und mein feiges Unterbewusstsein wünschte sich, ich hätte niemals etwas mit diesem Pack zu tun bekommen.
Der junge Kommissar würde mich nachmittags abholen, um gemeinsam zu Andy ins Krankenhaus zu fahren. Mit ein bisschen Glück war er dann in der Lage zu sprechen.
*
Am späten Mittag lief ich die Prager Straße hoch und kaufte bei Karstadt eine Desperate Housewives -DVD für Dale, streifte im Tiefgeschoss durch die Feinkostabteilung. Ich legte Weintrauben und Schokolade für Andreas in den Korb, obwohl ich nicht wusste, ob er schon wieder normal essen konnte; außerdem als kulinarische Mitbringsel für Dale Parmaschinken, einige Stücke Käse und einen guten Chianti. Schließlich nahm ich noch Marshmallows und Erdnussbutter mit. Ich wusste, dass er diese amerikanische Teenagerkost noch immer liebte, wenn er es auch ungern zugab.
Als ich mit einer prall gefüllten Einkaufstüte wieder auf die Fußgängerzone trat, meinte ich, wenige Meter entfernt die hochgewachsene Gestalt von Heinz Wachowiaks Schwiegertochter zu erkennen. Ich schob mich durch die Menschen hindurch und grüßte freundlich, sie tat jedoch, als habe sie mich nicht gesehen und ging schnell weiter. Seltsam. Aber vielleicht hatte ich mich auch getäuscht.
In der Redaktion hatte ich gerade die verderblichen Lebensmittel im Kühlschrank untergebracht und mich wieder an meinen Schreibtisch gesetzt, als Kommissar Clausnitzer den Raum betrat. Er sah sich neugierig um, offenbar war er das erste Mal in einer Zeitungsredaktion.
»Kein großes Geheimnis hier, heutzutage wird alles am Computer gemacht«, sagte ich.
»Wo sind die Kette rauchenden Männer mit den Ärmelschonern geblieben?«, fragte er grinsend. »Ich überlege, ob wir die Tatsache, dass Sie hier arbeiten, nicht irgendwie nutzen können, um den Mob aufzuscheuchen. Aber gucken wir erst mal, ob Herr Rönn uns etwas sagen kann.«
Während wir nebeneinander die Treppen hinuntergingen, berichtete er, dass die Fahndung auf Hochtouren laufe. Schriftexperten hatten herausgefunden, dass das Wort an unserer Wohnungstür von dem gleichen Sprüher stammte wie das Geschmiere am Verlagsgebäude, auch die Farbe war vom gleichen Hersteller.
»Bis gerade eben haben wir schon sechs einschlägig bekannte Hooligans verhaftet. Wir werden sie zwar spätestens morgen wieder laufen lassen müssen, unsere Strategie ist aber im Moment, die Szene aufzumischen.« Er zuckte die Achseln. »Ein bisschen wie Poker spielen, ohne das eigene Blatt zu kennen.«
*
Andreas war auf die Station verlegt worden, die er am Montag verlassen hatte, in ein
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