Ruchlos
keine Bange.«
Wie auf Bestellung brach die Sonne kurz durch die Wolkendecke. Martin kam zurück ins Büro, eine Bäckertüte in der Hand.
»Aber was ist mit der Anzeige?«
»Die mussten wir aufnehmen. Da sollte Herr Rönn auf Notwehr plädieren. Ich muss jetzt zurück zu unserem jungen Freund. Ich halte Sie auf dem Laufenden, auch darüber, was Sie heute schreiben können.«
»Ich glaube, das hätte ich lieber offiziell von der Pressestelle«, sagte ich trocken. Er lachte wieder und legte auf.
Martin hatte ein riesiges Plunderteilchen aus der Tüte gezogen und hineingebissen.
»Ich brauche Nervennahrung«, sagte er entschuldigend.
»Du hättest mir was mitbringen können.«
»Wieso, du bist doch fein raus. Mein Gott, weißt du, was das bedeutet? Wenn wir morgen tatsächlich noch eine Gegendarstellung bringen müssen. Und ich bin verantwortlich, egal, was unser junger Freund erzählt.« Er war noch immer sauer, und ich konnte es ihm nicht verdenken.
»Wenn sie dir wirklich ans Leder wollen, dann sagst du, dass die Idee von einem Kripobeamten kam und Andreas sie abgesegnet hat. Das soll er dann auf seine Kappe nehmen oder ich.« Ich zog eine Grimasse. »Der Polizist hat dadurch erreicht, was er wollte, und zumindest um die Gegendarstellung sollten wir herumkommen.«
Ich hatte den Schreibtischstuhl geräumt und Martin ließ sich schwer darauffallen.
»Hier, nimm.« Er reichte mir das angebissene Gebäck. » Ich mag nicht mehr.«
*
Verdammt, ich hätte etwas darum gegeben, bei der Befragung des Nazis dabei zu sein. Eine Vernehmung war es ja wohl nicht, wenn er freiwillig gekommen war.
Ich saß an meinem Schreibtisch, starrte auf den Monitor, konnte mich auf nichts konzentrieren. Was für ein Selbstbewusstsein, ins Polizeipräsidium zu marschieren und Anzeige zu erstatten! Wie hatte Müller gesagt? Ein guter Rechtsanwalt musste dahinterstecken. Vermutlich auch so ein Faschist, und damit gefährlicher als die ganzen Schläger. Ich schüttelte mich.
Wenn wir Erfolg hatten, war es unser Risiko wert, dachte ich. Ein Verkaufsstopp hatte bei einer Abonnement-Zeitung schließlich kaum wirtschaftliche Folgen, und ein Imageverlust stand bei dem Thema nicht zu befürchten, eher das Gegenteil. Vielleicht sollte das mal jemand unserem Geschäftsführer beibringen. Dann hätten wir ihn bestimmt auf unserer Seite.
Clausnitzer würde diesen Nazi ordentlich in die Mangel nehmen und bei der Durchsuchung fanden sie bestimmt irgendwelche Abzeichen, Bücher, CD s. Wobei sich natürlich die Frage stellte, was davon verboten war. Der ›Sturmtrupp‹ als solcher schon mal nicht.
Entnervt klickte ich mich durch meine eingegangenen Mails. Was konnte ich tun? Jonas war nicht in der Redaktion, vermutlich rechtfertigte er sich gerade bei der Geschäftsführung. Ob ich selbst hochgehen und die Angelegenheit richtigstellen sollte? Nein, ich würde abwarten, bis ich Ergebnisse hätte, wüsste, was wir schreiben konnten.
Neben der Tastatur lag Martins süßes Gebäck. Auch mir war der Appetit vergangen. Ich zwang mich, diszipliniert meine Arbeit zu machen. Etwa eine halbe Stunde später kam Jonas zurück. Er hatte eine Verwarnung kassiert, wollte aber nichts davon wissen, dass ich Müller die Wahrheit sagte.
»Du hast was gut bei mir und Andreas«, bescheinigte ich ihm.
Mit betont cooler Geste winkte er ab. »Aber wenn es heute noch mal was zu dem Thema gibt.«
»Kannst du das gerne schreiben«, sagte ich. »Aber sprich bloß jedes einzelne Wort mit oben ab!«
Ich zeichnete Layouts, schrieb Meldungen, bearbeitete den Text eines freien Mitarbeiters und wollte gerade auf meinen knurrenden Magen hören und mir etwas Handfestes zu essen holen, als Clausnitzer anrief. Ich stellte den Lautsprecher an und winkte Jonas zu mir.
»Neun Namen außer denen der drei Schläger, die wir schon in U-Haft haben«, verkündete er. »Darunter die der beiden anderen, die Ihnen vorm Zwinger aufgelauert haben. Unser Freund selbst ist für die Schmierereien verantwortlich. Darüber haben wir ihn gekriegt. Die Spraydosen waren noch in seiner Wohnung.« Der Kommissar hörte sich erschöpft an. »Der Kern des ›Sturmtrupps‹ dürfte damit ausgehoben sein.«
Ich sah Jonas an, der strahlte, als sei das sein Verdienst. Ich war irritiert:
»Warum geht jemand, der selbst so viel Dreck am Stecken und belastendes Material in seiner Wohnung hat, zur Polizei?«
»Selbstüberschätzung, kann ich nur vermuten«, tönte Clausnitzers Antwort aus dem Lautsprecher.
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