Ruchlos
der Sache doch längst abgeschlossen.«
Nachdem wir das Gespräch beendet hatten, war ich hellwach. Warum solch ein Angebot? Und warum jetzt? Sollte mein Artikel über die ›VitalMed‹ das bewirkt haben?
Noch etwas irritierte mich. Es dauerte einen Moment, bis ich darauf kam: Marianne Gärtner hatte Schichtarbeit geleistet. Zwar als Ingenieur, wie sie ihr Geschlecht in DDR- Sprachtradition neutralisierte, aber dennoch … Das passte wieder so gar nicht zu dem Bild, das Heinz Wachowiaks Sohn von ihr gezeichnet hatte. Worauf war dessen Ablehnung begründet gewesen?
Verdammt, nun hatte ich die Frau am Telefon gehabt und vergessen, sie zu fragen, woher das Misstrauen ihres Freundes gegenüber der Klinik kam! Schnell strampelte ich mich aus der Decke heraus und suchte nach meinen Notizen, stellte fest, dass ich sie in der Redaktion hatte liegen lassen, ging in Dales Büro, um das Telefonbuch zu suchen. Dort stank es nach wie vor ekelhaft nach kaltem Rauch. Als ich den Schreibtisch sah, überkam mich Neugierde und ich öffnete die linke Tür. Der eingebaute Tresor stand offen, Dales Smith & Wesson war fort. Ich schlang meine Arme um mich, fror in dem dünnen Nachthemd, und wollte nicht darüber nachdenken, wo er sich aufhielt und was er tat.
Schon nach dem zweiten Klingeln nahm Marianne Gärtner ab.
Sie hätten keine Produktbeschreibung des Gelenks bekommen, lautete die Antwort auf meine Frage.
»Aber kriegt man denn normalerweise so etwas?«, fragte ich einigermaßen entgeistert.
Wieder dieses leise Lachen. »Das war Heinz. Wenn er einen Fernseher kaufte, musste er genau wissen, wie er funktionierte, wenn man mit ihm essen ging, konnte es passieren, dass er dem armen Kellner die Hölle heißmachte, weil auf der Karte nichts von Zusatzstoffen stand, die doch bestimmt im Essen waren. Und wenn ich mich bereiterklärte, einen solchen Eingriff vornehmen zu lassen, wollte er darüber auch so viel wie nur möglich in Erfahrung bringen.« Zum Schluss ihrer Ausführungen klang die Stimme traurig. »Es war nicht immer einfach mit ihm, aber er hat es gut gemeint.«
Der alte Querulant, dachte ich und bemitleidete die Frau, die mit ihrer Trauer von der Familie ihres toten Partners nicht akzeptiert wurde. Ich bedankte mich und beendete das Gespräch. Ich würde sie im Krankenhaus besuchen – um ihr beizustehen und Antworten darauf zu finden, warum eine ansonsten äußerst geschäftstüchtige Station ihr dieses Angebot gemacht hatte.
*
Als ich am nächsten Morgen um acht Uhr den Frühstückstisch deckte, kam Dale verschlafen in die Küche. Er trug Jogginghose und Sweatshirt, seine Haare waren verklebt und rochen nach Rauch.
»Für mich erst mal nichts.« Er wies auf den Tisch. »Ich will laufen, dann unter die Dusche.«
War er verkatert oder einfach nur übernächtigt? Ich hatte ihn nachts nicht mehr gehört, er musste spät nach Hause gekommen sein.
»Könntest du mir nicht ganz kurz erzählen, was du von welchen Familienmitgliedern des alten Herrn erfahren hast? Du hast doch bestimmt mit allen gesprochen, oder?«
»Du kannst ja mit laufen kommen.« Dale grinste. »Ein bisschen Sport würde euch beiden guttun!«
»Ich lebe schon so gesund! Und ich gönne dir nicht den Spaß, mich hinter dir herkeuchen zu hören.«
Er lachte, setzte sich auf das alte Sofa, schnupperte in Richtung Kaffeemaschine. Ich goss eine Tasse ein und reichte sie ihm.
»Du sollst nicht durch die Gegend ziehen und Leute befragen«, sagte er ernst.
»Wer hat denn gesagt, dass ich jemanden befragen will?« Ich nahm mir einen Tee und setzte mich ihm gegenüber.
Ich sah ihm an, dass er mir nicht glaubte. Dennoch begann er: Er habe nur mit Michaela Kattner sprechen müssen. Deren Reaktion auf die Nennung ihres Cousins sei ihm komisch vorgekommen, also habe er nachgehakt.
»Sie quälte ihr schlechtes Gewissen, weil sie ihn vorher nicht entlastet hatte, denke ich. Psychologisch alles ganz verkorkst. Er behandelt sie bestimmt wie ein Stück Dreck, deshalb war es vielleicht eine Art Racheakt; außerdem musste ich ihr hoch und heilig versprechen, dafür zu sorgen, dass ihre Familie nichts davon erfährt.« Er trank einen Schluck Kaffee, kniff das rechte Auge zusammen, als er mich anschaute. »Das war’s. Mehr kann ich dir nicht bieten.«
»Ronnie selbst hat nichts gesagt von diesem Alibi?«
Kopfschütteln.
»Wo warst du gestern Nacht?« Ich war frustiert. Er musste mehr wissen.
»Ein anderer Job.« Dale stand auf. »Die Geschichte ist für mich
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