Ruchlos
»Der Anwalt wusste von alledem nichts, oder er hat sehr gut geschauspielert.« Er lachte kurz auf. »Sie müssen noch Anzeige erstatten wegen Bedrohung, dann können wir das hier richtig festzurren. Ach ja, und die Pressemitteilung erhalten Sie in der nächsten Stunde. Sie wird in etwa lauten, dass es gelungen ist, Angehörigen der rechtsradikalen Hooligan-Gruppierung ›Sturmtrupp‹ diverse Straftaten nachzuweisen.«
Er wollte sich schon verabschieden, als ich nachfragte, ob er etwas über den Mörder Heinz Wachowiaks herausfinden konnte.
»Leider nicht. Ich habe die Fakten von Kollege Hantzsche auf dem Tisch, aber dazu wusste unser Mann nichts. Ronnie Meyersfeld ist nach seinen Worten ein kleines Licht in der Szene. Originalton: ›ein Niemand‹.«
Erst, als ich mich nach Beendigung des Gesprächs selbst aufseufzen hörte, wurde mir bewusst, wie groß meine Anspannung gewesen war. Die Gefahr war vorüber. Ich konnte wieder normal arbeiten, zu Hause wohnen, auch nachts ohne Angst, überfallen zu werden, durch die Stadt laufen.
»Komm mit!«
Jonas hinter mir, stürmte ich ins Chefbüro und erstattete Martin Bericht. »Den Artikel überlassen wir dem jungen Kollegen«, schloss ich und bat die beiden, sich zu einigen, wie detailliert sie auf die Straftaten eingehen wollten. » Meinetwegen kann mein Name und alles, was passiert ist, drinstehen. Andreas ist es bestimmt auch recht. Wir sollten Flagge zeigen.« Auf einmal fühlte ich mich unverwundbar. » Ich fahre jetzt raus in die Friedrichstadt und überbringe ihm die gute Nachricht.«
Ich war schon fast wieder aus der Tür, als Martin mich zurückrief:
»Stopp! Kirsten, bitte, erzähl Andreas das am Telefon. Die Geschichte ist so kompliziert, da möchte ich, dass du mit nach oben gehst und wir alles gemeinsam durchsprechen. Auch, ob wir wirklich eure Namen präsentieren. Sie haben vielleicht den harten Kern gefasst oder sind ihm auf der Spur, aber es wird immer noch genug von den Idioten geben, die Rache üben wollen.«
Das wirkte wie eine kalte Dusche. Natürlich war die Gefahr nicht gebannt. Das würde sie vielleicht sein, wenn möglichst viele der Nazis möglichst hohe Strafen bekommen hatten. Aber wozu würden die, die mir am Zwinger aufgelauert hatten, schon verurteilt werden? Der, aus dem Clausnitzer die Namen herausgeholt hatte, durfte vermutlich auf mildernde Umstände hoffen. Blieb Körperverletzung bei denen, die Andy angegriffen hatten. Die waren schon vorher in Haft gewesen.
»Stimmt«, sagte ich kleinlaut.
Martin sah mich an wie früher meine Mutter, wenn etwas, womit ich fest gerechnet hatte, nicht eingetreten war. Gutes Wetter zum Ferienbeginn, die Einladung zur wichtigsten Party der Schule, der Anruf des Jungen, mit dem ich einen tollen Abend verbracht hatte.
»Ich schlage vor, wir drei setzen uns zusammen und beratschlagen, was wir für das Beste halten. Dann können wir Müller etwas unterbreiten, was Hand und Fuß hat.«
Jonas platzte fast vor Stolz, dass Martin ihn einbezog; ich erbot mich, Pizza zu holen. Vorher rief ich bei Andy an und teilte ihm die Neuigkeiten mit. Seine spontane Reaktion ähnelte meiner: Er wollte, dass ich eine Flasche Sekt ins Krankenhaus schmuggelte, um zu feiern.
»Ich versuchs. Aber erst mal dauert das hier noch. Tut mir leid. Wie gehts dir? Ist die Dränage raus?«
»Ja, ist sie. Das Loch in der Lunge hat sich wieder vollständig geschlossen. Der Arzt meint, wenn ich verspreche, mich zu schonen, kann ich Anfang nächster Woche raus.«
»Das lass ich dich aber auf eine Flasche Whisky schwören. Die ich dir eigenhändig über den Schädel ziehe, wenn du dich nicht daran hältst!«
Es war typisch für Andy, mich nicht daran zu erinnern, dass er wieder im Krankenhaus lag, weil er meinen Verfolger aufgehalten hatte. Wofür ihn nun noch eine Anzeige erwartete. Stattdessen behielt er das letzte Wort, indem er ankündigte, den Whisky auszutrinken, bevor ich ihn zweckentfremden konnte.
*
Im Endeffekt saßen wir den ganzen Nachmittag in der Chefredaktion. Der Hausjurist meldete bei jeder einzelnen Formulierung Bedenken an. Ich lief zwischendurch ins Polizeipräsidium, um meine Anzeige aufnehmen zu lassen, bekam von Clausnitzer weitere Detailinfos, die wiederum dem Anwalt suspekt waren. Gegen vier war die einstweilige Verfügung aufgehoben, um halb sechs saßen wir endlich wieder erschöpft in der Redaktion mit einem fürchterlich steifen, fix und fertig ausformulierten Text, der nichtsdestotrotz der lokale
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