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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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tatsächlich, wie ich vorhergesagt hatte, tauchte Harold am nächsten Tag wieder auf. Doch selbst wenn ich nichts gesehen hätte, ich hätte Bernie dennoch beruhigen können, ohne Gefahr zu laufen, mich zu irren. Denn jedesmal, wenn Harold türenschlagend das Weite suchte, kam er nach rund einer Woche wieder zurück. Mit knurrendem Magen und einem Koffer voll schmutziger Wäsche. Zehn Tage war wirklich das Äußerste seines Aktionsradius.
    Bernie war der einzige, der sich Sorgen machte, der hartnäckig blind blieb. Sein ›Ach, Dan …! Diesmal hat er mich wirklich verlassen …!!‹ klang mir regelmäßig in den Ohren. Für ihn war das jedesmal das endgültige Aus, im übrigen hatte ich für diese Dinge kein Gespür, ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie anders das diesmal war und was für einen schrecklichen Blick er ihm ein andermal zugeworfen hatte. Natürlich verflüchtigte sich sein Gedächtnis, kaum war der Unglücksvogel wieder ins Nest geflattert, und er vergaß mir zu antworten, wenn ich ihm zuraunte:
    - Na … Hab ich’s nicht gesagt …?
    Ich hatte einen unerfreulichen Tag im Büro hinter mir – der Kaffeeautomat war kaputtgegangen, und ich hatte mir obendrein ein seelenloses Manuskript vorgeknöpft –, ich hatte acht Stunden purer Langweile hinter mir und kam mit angespanntem Sinn nach Hause, als ich erfuhr, daß Harold an den häuslichen Herd zurückgekehrt war.
    - Er hat sich sogar die Haare schneiden lassen, fügte Hermann hinzu, während ich geradewegs zu meinem Sessel flitzte.
    - Nein! Ehrlich …? fragte ich hämisch.
    - Jaja, steht ihm gar nicht so schlecht … Weißt du, obendrauf einigermaßen lang, im Nacken und an den Seiten ausrasiert …
    - Ach du Schande, ich kann’s mir vorstellen … Das fehlte noch! Unter uns gesagt, an seinem schwachsinnigen Grinsen ändert das auch nichts …!
    - Nein, im Ernst, ich finde, er sieht jünger aus …
    - Naja, weißt du, wenn man’s recht betrachtet, ist er geistig ohnehin erst fünf oder sechs …
    - Eh, was hat er dir eigentlich getan …?
    - Nichts … Nichts hat er mir getan.
    - Hm, wenn du mich fragst … Du siehst aus, als wolltest du jemanden auffressen, ehrlich, ich übertreib nicht …!
    Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte den Kopf ab, um die Diskussion abzuschließen. Ich schaute einen Moment in den Garten, in die Stille und in das Junilicht, das am Fenster flimmerte.
    - Rat mal, mit wem er die ganze Zeit zusammen war …! sagte ich in unbeteiligtem Ton, den Blick auf meinen Rasen gerichtet.
    Da ich keine Antwort erhielt, wandte ich mich ihm langsam wieder zu. Doch jetzt war es an ihm, den Garten zu betrachten, und sein Gesicht wirkte relativ ausdruckslos, so daß ich meine Frage wiederholte:
    - Rat doch mal, mit wem dieses unsägliche Arschloch in den letzten Tagen auf Achse war …!!
    - Scheiße, woher soll ich das denn wissen …?! erwiderte er und steckte dabei beide Hände in die Taschen.
    Ich beobachtete ihn. Dann schlug ich mir auf die Schenkel und stand seufzend auf.
    - Herrgott, wofür rede ich mir eigentlich den Mund fusselig …
    Ich ging in die Küche. Ich fühlte mich ziemlich idiotisch. Und leicht verletzt. Ich kam mir dermaßen bescheuert vor, daß ich mir in einer absurden Anwandlung das Hemd vom Leibe riß und in die Maschine steckte. Es war ohnehin warm.
    - He … Richard ist schließlich alt genug …
    - Jaja … Wahrscheinlich …. sagte ich und schnappte mir das Waschmittel.
    In einer makellosen Stille erledigte ich die erforderlichen Handgriffe, dann entschied ich mich für eine Wäsche mit niedriger Temperatur.
    - Trotzdem hättest du mir Bescheid sagen können …. knurrte ich, als ich an ihm vorbeikam.
    - Meine Güte, was gibt’s da schon groß zu sagen …! Kopfschüttelnd wanderte ich durchs Wohnzimmer. Ich blieb vor meinem Sessel stehen, ich wußte nicht, ob ich Lust hatte, mich zu setzen oder nicht. Als ich mich umwandte, hatte er sich bereits auf der Armlehne des Sofas niedergelassen und betrachtete mich mit amüsierter Miene.
    - Na schön, aber wenn ich mir vorstelle, daß er mit diesem …. mit diesem …. meinte ich und reckte einen drohenden Finger ins Leere.
    Hermann zuckte resigniert mit den Schultern. Mein Arm sank zurück, ich setzte mich.
    - Herr im Himmel, als ich die beiden gestern morgen gesehen hab, ich schwör dir, ich hab meinen Augen nicht getraut … Eh, sag mal, ist das einfach so über ihn gekommen, aus heiterem Himmel …? Hat der plötzlich ‘nen Rappel bekommen?
    - Mmm,

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