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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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das ist schwer zu sagen … Ich glaube, er weiß selbst nicht genau, was er will.
    - Na schön, aber Harold, der weiß, was er will, da kannst du Gift drauf nehmen … Der hat die jugendliche Verwirrung hinter sich …!
    - Naja … Trotzdem, gezwungen hat er Richard nicht, das bestimmt nicht …!
    - Es gibt verschiedene Wege, jemanden zu zwingen. Verdammt, dieser Harold ist hinterlistiger, als du glaubst!
    - Okay … Mag sein … Aber du kannst mir nicht erzählen, daß Richard wirklich etwas für Mädchen übrig hat … Ich glaube, das hätte ich mit der Zeit gemerkt.
    - Wir haben oft genug darüber gesprochen, aber ich sage es dir gern noch einmal … Kann man einem Jungen, der so viel hat wegstecken müssen wie Richard bei seiner Mutter, kann man dem vorwerfen, daß er sich Mädchen gegenüber ein wenig in acht nimmt oder schlichtweg reserviert verhält …? Sollte man ihm nicht ein wenig Zeit lassen und sich hüten, vorschnelle Schlüsse zu ziehen …?
    - Meine Güte, daß ich nicht lache …! Meinst du, es kratzt mich, ob Richard nun gay ist oder nicht …? Was sollte das denn für mich ändern, worüber reden wir hier überhaupt …? Scheiße, ob er nun mit Harold schläft und wie riesig gut ihm das tut, Mensch, das kratzt mich nicht im geringsten … He, ich dachte immer, sowas war dir vollkommen schnurz …!
    - Naja … Sagen wir so, ich hab das noch nie aus diesem Blickwinkel betrachtet … Sagen wir, ich hab mich noch nicht von meiner Überraschung erholt. Ich glaube, das liegt an Harold, daß ich das nicht verdaut kriege … Ich komme nicht dagegen an, da sträuben sich mir die Haare!
    - Aha, wenn ich recht verstanden habe …
    - Hermann, du hast eine widerliche Art, die Dinge zu vereinfachen.
    - Überhaupt nicht! Du versuchst mir doch die ganze Zeit zu verklickern …
    - Ja, ich weiß selbst, was ich sage … Vielleicht hätte ich die Sache anders aufgenommen, wenn Harold nicht darin verwickelt wäre, ich weiß es nicht … Aber leider ist er es nun mal und niemand anders, und da führt kein Weg dran vorbei …! Ergo, ich schaffe es nicht, Abstand zu gewinnen, verstehst du … Schlimmer noch, ich habe keine Lust dazu … Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, aber jetzt, in diesem Moment, geht mir nicht etwa Richards Homosexualität durch den Kopf, sondern so etwas wie Verführung Minderjähriger.
    - Nur daß Richard nicht mehr minderjährig ist …
    - Ja, das weiß ich, ich versuche dir nur zu erklären, was ich empfinde … Ich bemühe mich nicht, logisch zu sein oder über das Problem nachzudenken, ich will da keine intelligente Haltung einnehmen … Ich sage dir nur, was ich denke, das ist alles.
    Ich stand auf, um mir ein Glas zu holen.
    - Andererseits, das natürlich nur am Rande, du kannst dir sicherlich vorstellen, was los ist, wenn gewisse Leute dahinter kommen …!
     
    In der nächsten Zeit ließ ich keine Gelegenheit aus, Richard unauffällig zu beobachten. Ich wollte wissen, was nun war und ob ich gewisse Dinge fühlen würde, aber ich fühlte überhaupt nichts. Mir fiel höchstens auf, daß er ein wenig besorgter, ein wenig wortkarger wirkte als sonst, und das hätte ein Anzeichen sein können, wären da nicht diese Prüfungen am Ende des Schuljahrs gewesen, die ihnen allen ein paar Sorgen machten und folglich das Resultat meiner Analysen verfälschten.
    Die Tage waren heiß. Die allgemeine Stimmung schweigsam. Wir waren mit Arbeit überlastet, da waren sie nicht die einzigen. Man hätte meinen können, ein gemeinsames Schicksal habe uns alle zugleich erwischt, und wir hatten nichts mehr zu lachen. Das war Zufall, aber wir mußten uns samt und sonders doppelt ins Zeug legen. Bernie war mit seinen Aufträgen im Verzug und verbrachte, gemeinsam mit Harold, ganze Tage in seinem Atelier, um den Prototyp eines Liegestuhls zu entwickeln. Sarah machte neben ihrem normalen Job eine Bestandsaufnahme des ganzen Krams, den man ihrer Sparte zuzählte, und das war kein Pappenstiel, so daß wir nur selten zusammen essen konnten.
    Meinerseits herrschte der helle Wahn. Astringart war krank geworden – ein ärztliches Attest hatte ich allerdings nicht zu sehen bekommen –, und man hatte mir sämtliche Manuskripte zugeschoben, in der Erwartung, ich würde ein Auge darauf werfen.
    Ich hatte Schwierigkeiten, mein Büro zu betreten. Ich brauchte mir das nur vom Flur aus anzusehen, wenn ich von Zeit zu Zeit, mit dem Rücken an der Wand, einen Karree trank, schon bekam ich eine Gänsehaut, und mein Blick

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