Rückgrad
ganz gut und schön, nur daß mein Körper nicht das Wichtigste auf der Erde war, so weit war ich noch nicht. Ich war gern bereit, den Schaden in Grenzen zu halten, ich hatte mir Shorts und ein Paar Basketballschuhe gekauft, und ich wollte durchaus ein paar Stunden pro Woche den Hampelmann spielen, mehr durfte man aber nicht von mir verlangen. Die Hauptsache war, daß ich mich auf den Beinen hielt und imstande war, an Hermanns Seite einen Sprint hinzulegen, ohne mich zu blamieren, oder einen Berg hochzukommen, ohne mit umgedrehtem Magen gegen einen Baum zu sinken, ohne ihm zurufen zu müssen, er solle auf mich warten. Und was die Mädchen anging, ich konnte mich schon noch nackt sehen lassen, und was ich an Schönheit verloren, hatte ich an Erfahrung gewonnen. Wenn ich ihnen auch nicht die Schönheit des Himmels bot, war ich nicht voller Geduld und Aufmerksamkeit, war ich nicht dafür um so sanfter? Konnte man mir vorwerfen, daß ich keinen ordentlichen Ständer mehr bekam, daß ich mir nicht den Kopf zerbrach …?
Ich hatte die ganze Woche ausgesprochen schlecht geschlafen. Es hatte einige Gewitter gegeben, und wie aus purer Bosheit war die letzte Nacht die allerschlimmste gewesen, ich war sogar stöhnend aus meinem Bett gefallen. In die Bettdecke gehüllt, hatte ich mich vor dem Fenster aufgebaut und dem Unwetter mit stierem Blick zugeschaut, das war beinahe ebenso erholsam wie liegenzubleiben.
Im Laufe des Tages hatte ich dermaßen viel Kaffee getrunken, daß meine Kiefer wie verschraubt waren, ich hatte steife Beine, und meine Augen waren knallrot. Überflüssig, zu betonen, daß meine Sitzung mit Marianne Bergen stürmisch verlaufen war. Ich sah noch all diese Blätter vor mir, die in den Papierkorb geflogen waren, ich hörte mich noch seufzen, daß wir niemals etwas erreichen würden, daß einem bei dieser oder jener Passage schwindlig werde, daß wir besser alles auf morgen verschöben. Aber sie wollte weitermachen, trotz allem, vor allem, lieber als alles, denn ihrer Meinung nach schaffte man am meisten, wenn man am Ende seiner Kräfte war. Herrgott nochmal, was mußte man sich nicht alles anhören, was glaubte die eigentlich, wo sie war, ehrlich, bildete die sich etwa ein, wir schrieben irgendein unvergängliches Ding …?! Ständig kam es ihr über die Lippen: »Ich will mein Bestes geben«, und das zu einem Zeitpunkt, wo ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte, wo ich mit meinen gereizten Augen keine drei Zeilen lesen konnte, ohne daß mir die Tränen kamen, wo mir jedes Nachdenken unerträglich war, wo mir alles auf die Eier ging. – Hören Sie, Marianne, ich bin müde …
-Oh! Weiter! Weiter!! WEITER …!!
Sie war leicht bescheuert, das war ihr Problem. Ich war ihren Eltern noch nicht begegnet, aber mir schwante mühelos Übles, man brauchte bloß einen Blick auf ihre Bude zu werfen, sich einen Moment in den Salon zu setzen, um sich die Häßlichkeit der Leute auszumalen, die in so etwas wohnten, und dabei bin ich gar nicht mal ein boshafter Typ. Man brauchte sich bloß anzusehen, was sie aus ihrer Tochter gemacht hatten.
Sie war überzeugt, in ihr, Marianne Bergen, schlummere ein Talent. Sie hatte es mit Klavierspielen versucht, dann mit der Malerei und der Literatur, aber die Ergebnisse entsprachen nicht ihren Erwartungen. Jetzt war das Kino an der Reihe. Man durfte sich fragen, was als nächstes kommen würde, für sie jedoch, wenn man sie hörte, galt nur: entweder das oder der Tod. So wie es einst die Malerei oder der Tod geheißen hatte, die Literatur oder der Tod, und wer weiß, wenn man sie wie im Wahn über ihr verflixtes Drehbuch reden hörte, wahrscheinlich hatte sie im ersten Moment aufrichtig daran geglaubt. Ihr Feuereifer, ihr ständiges Anrennen machten sie mir irgendwie sympathisch. Man mußte die Hast, die Blindwütigkeit erleben, die sie zu beherrschen schien, wenn wir uns an die Arbeit machten. Aber für wie lange? Das war die große Frage. Vielleicht würde ich eines Tages antanzen und einen Klarinettenlehrer auf meinem Platz vorfinden. Leute ihres Schlages gab es zuhauf, Leute, die sich sechs Monate oder ein Jahr einer Sache hingaben, naja, zwei Jahre, im Höchstfall. Ich hingegen, hätte ich nicht aufgehört zu schreiben, ich hätte mein Lebtag nicht genug davon bekommen.
- Alles klar? fragte mich Paul. Kommt ihr gut zu Rande, ihr beiden …?
- Mmm …. göttlich!
- Dan, wenn du wüßtest, was ich mir für Vorwürfe mache …
- Brauchst du nicht. Das ist ein wahres
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