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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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mußte mich bloß in Geduld fassen und abwarten, daß diese ärgerliche Rutschpartie ein Ende nahm. Zum Glück war die Auffahrt wie ausgestorben, und wäre nicht das leise Zirpen meines Blousons auf dem vereisten Asphalt gewesen, ich hätte glauben können, seelenruhig in meinem Bett zu liegen, die Augen zur Decke gerichtet und eingeladen zu irgendeiner Reise, deren ohnmächtiger Zuschauer ich war.
    Gott sei Dank rutschte mein Kopf zwei Zentimeter an der Leitplanke vorbei. Lediglich mein Bein ging in die Brüche.
     
    An diesem Tag stürzte jener Wall ein, den ich mühselig um mich herum errichtet hatte, der mich so viele Opfer gekostet hatte und dessen Geschichte nur der Widerhall herzzerreißender Trennungen und Entsagungen war. In Nullkommanichts wurde meine Bude gestürmt, ich hatte den Eindruck, sie kamen von allen Seiten zugleich. Männer, Frauen, Kinder. Frauen, ja, haargenau, mein Schwur wurde verspottet, lächerlich gemacht, zerstampft, weggefegt, bevor ich auch nur dazu kam den Mund aufzumachen.
    Daran gewohnt, immer nur eine auf einmal abzuweisen, wurde ich von der Vielzahl glatt überrannt, und mit entsetztem Blick öffnete ich einer von ihnen die Tür, während eine andere in meiner Küche trällerte.
    Als hätte sich die ganze Welt abgesprochen. Je öfter ich ihnen sagte, ich brauchte nichts, um so idiotischer fanden sie mich, und sie wetteiferten darin, wer meine Kissen richtete, seinen Grips bemühte, um mich zu zerstreuen. Alle Welt fühlte sich verpflichtet, den guten alten Dan aufzurichten, der durch einen finsteren Unfall in seinen vier Wänden festgehalten wurde.
    Sarah schaute beinahe täglich vorbei, na gut, Sarah, das war was anderes, Sarah, nichts gegen. Aber Elsie, Marianne Bergen, Andrea, wenn sie einmal nicht mit einer ihrer Freundinnen antanzten, was sollte ich dazu sagen, was sollte ich zu all diesen Mädchen sagen, die mir am Arm ihres Freundes ins Haus schneiten? Meine Güte, ich wiederhole mich, hatte ich nicht geschworen, nie wieder werde eine Frau den Fuß über meine Schwelle setzen …?! Ah, und seien sie noch so alt oder zum Kotzen oder häßlich, so daß nicht die geringste Gefahr bestand, darum ging’s nicht, ein Schwur war schließlich ein Schwur. Was indes war jäh aus ihm geworden, sah ich sie nicht seelenruhig in meinen Sesseln Platz nehmen und die Beine übereinanderschlagen, war nicht mein Wohnzimmer von ihrem Parfüm erfüllt, faßten sie nicht alles an, konnte ich nach ihrem Aufbruch nicht feststellen, daß ein unsichtbares Chaos im Zimmer herrschte, daß selbst die Stille ob ihrer Spuren erzitterte …?
    Also war mein Schmerz doppelt, mit meinem Bein war auch mein Schwur in die Brüche gegangen. Wenn man mich allein ließ, starrte ich auf meinen Gips, aber im Grunde fühlte ich mich an meinen Stuhl gefesselt, ein für allemal verraten, und das Gewicht meines Beins war nichts, verglichen mit dieser fürchterlichen Invasion. Sollte doch gleich eine ganze Busladung kommen, wenn sie schon dabei waren, samt Zahnbürsten und Schlafsäcken, dann könnte ich wenigstens mal anständig lachen, bevor ich mich einsperren ließ.
    - Du bist lächerlich, sagte Sarah zu mir.
    -Ja. Abgrundtief.
    Einen jedoch amüsierte dieser ganze Aufmarsch, einen, der mit einem Lächeln auf den Lippen aus der Schule kam. Wenn er sich auf meine Seite geschlagen hätte, wenn er nur die geringste Verstimmung angesichts dieses ganzen Trubels gezeigt hätte, ich hätte Mittel und Wege gefunden, dieses ganze Volk rauszuwerfen, ich hätte meine Tür verriegelt, und mein Schwur wäre ungebrochen geblieben.
     – Du weißt, Hermann, du brauchst nur ein Wort zu sagen. Vergiß nicht, du bist hier zu Hause. Wenn du mich fragst, dieses ständige Kommen und Gehen …
    - O nein, das ist nicht dein Ernst! Jetzt ist wenigstens was los hier …
     – Hmm, sicher … Aber ein bißchen Ruhe hat noch niemand geschadet, das kannst du mir glauben.
    - Pah, es schadet auch niemand, ein paar Menschen zu sehen …
    Ich wußte sehr wohl, wo das Problem lag, ich wußte, früher oder später würde es sich stellen, oder vielmehr, es hatte schon immer existiert, und es würde sich nur ausweiten. Offen gestanden, ich hatte die Nase voll, und ich verspürte seit einigen Jahren eine ernsthafte Neigung zu einer einsamen Insel, ich glaube, ich hätte nichts vermißt, oder nur sehr wenig, wenn ich’s mir recht überlegte, ich hatte keine extravaganten Bedürfnisse mehr. Doch da war ein wunder Punkt, denn in dem Maße, wie ich mich

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