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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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ein, und Max lachte immer noch. Er profitierte davon, daß sich Hermann und Gladys unmittelbar gegenüberstanden und ein Mädchen seine Kräfte nicht vergeudet, wenn es darum geht, den Feind zu bekämpfen. Schlagartig zählte nur noch eines für sie. Vielleicht schämte sie sich auch wegen der Sache mit Max und ging lieber darüber hinweg, ohne ein Wort darauf zu verschwenden.
    - LASS MICH BLOSS IN RUHE …! schleuderte sie Hermann ins Gesicht. Ich hätte gern Max’ Miene gesehen, aber er war bereits zur Seite getreten und kehrte mir den Rücken zu.
    - PACK MICH NICHT AN, DU BLÖDER IDIOT!!! fauchte sie, als Hermann vorsichtig eine Hand nach ihrem nackten Arm ausstreckte.
    Die Stimmung war äußerst gereizt. Gladys’ Blick versprühte reines Gift.
    Plötzlich rannte sie los und flitzte in Richtung Eingang, und Hermann stürzte, ohne zu zögern, hinter ihr her. Ich hoffte, daß sie nicht wieder anfangen würden, mit den Türen zu spielen, wenn es sich vermeiden ließ.
    In der Stille, die wieder eingekehrt war, fegten ein paar Blätter über die Erde, aber sie schafften es nicht davonzufliegen und gesellten sich zu den anderen am Fuß einer Mauer. Max war damit beschäftigt, die Leiter einzufahren, und die Rollen quietschten leise, als er das Gerät zusammenschob.
    - Max … Das hättest du nicht tun sollen, sagte ich zu ihm.
    Er vollendete sein kleines Werk, ohne sich um mich zu kümmern, ohne mich anzusehen. Er zog seine Hose zurecht, kippte die Leiter und schulterte sie.
    - Ist es soweit? Bist du völlig verblödet? erkundigte ich mich mit erhobener Stimme.
    Ein Windstoß ließ Max’ Haare zu Berge stehen. Er ging an mir vorüber, ohne zu antworten, aber ich packte ihn am Arm. Ich fühlte mich ungeschickt, denn es war das erste Mal, daß ich seinetwegen in helle Wut geriet, und es war schwierig, gegen diese Art Freundschaft anzukämpfen, die ich seit langem für ihn empfand.
    Er warf mir einen schrecklichen Blick zu, der jedoch sogleich erlosch, so daß ich nicht einmal sicher war, richtig gesehen zu haben.
    - Also ehrlich, so ein Aufstand um einen kleinen Scherz …! erklärte er hämisch. Ich zögerte einen Moment, dann ließ ich seinen Arm los.
     
    Es gab rund ein Dutzend Zimmer auf der obersten Etage der Stiftung. Sie waren nicht besonders groß, aber jedes hatte eine Nische, in der man eine Kleinigkeit kochen konnte, ein kleines Bad und ein Bett. Und vor allem einen Schreibtisch mit einer Lampe, denn von den Künstlern, die man hier empfing, wurde erwartet, daß sie arbeiteten oder wenigstens hin und wieder ein paar Notizen niederschrieben.
    Stets lagen ein dicker weißer Block und eine Handvoll Stifte in einer der Schubladen, Marianne legte großen Wert darauf, und die Frauen, die mit dem Putzen und Aufräumen betraut waren, mußten jeden Morgen kontrollieren, ob dem Geist, der diesen Räumen innewohnte, genügend Munition verblieb. Was sich auf der obersten Etage der Marianne-Bergen-Stiftung tat, war für viele vom Nimbus der Kreativität umgeben, und so mancher stellte sich vor, der Kessel dampfe die ganze Nacht und die kleinen Engelchen badeten artig in voller Inspiration und lutschten an ihrer Kulimine.
    Das war ein Irrtum. Die Geräusche, die man hinter der Tür vernahm, waren keineswegs das Ergebnis geistiger Pein. All diese jungen Menschen waren fern der Heimat, und sie versuchten, ihr Heimweh zu vergessen, indem sie, obwohl es streng verboten war, Alkohol oder irgendwelchen Besuch aufs Zimmer schmuggelten. Sobald die Nacht hereinbrach, herrschte auf dieser obersten Etage eine gewisse Betriebsamkeit, allerdings waren es Federn, die knarrten, oder eine Flasche, die über den Boden kullerte, kein Kopf der gegen die Wand geschmettert wurde, kein Verzweiflungsschrei, sondern Liebesgurren, Wasserspülungen, Plätschern.
    Meine Italienerin hatte die Nummer 12, das Fenster lag zur Straße. Als ich sie nach den langen Monaten der Abstinenz (was mich betraf) aufs Bett warf, war ich regelrecht ergriffen, und das hatte nichts mit der sexuellen Komponente der Geschichte zu tun, das war schlicht das Vergnügen, mitten im Leben zu stehen und mich bester Gesundheit zu erfreuen. Ich lächelte zur Decke, heilfroh, sämtliche Prüfungen des Abends glorreich bestanden zu haben, und bereit, den Siegeskranz zu empfangen. Ich bedauerte, daß ich nicht das eine oder andere Wort Italienisch konnte, als sie sich auf mich schwang und in aller Ruhe beide Hände nach den Druckknöpfen meines Hemdes ausstreckte.
    Eine ganze

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