Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
Vom Netzwerk:
erwärmen, würde mir schwerfallen, ich konnte es mir nicht einmal vorstellen. Sehnsüchtig dachte ich an all die Jahre zurück, in denen mich das Schicksal verschont hatte, jetzt konnte ich ermessen, wie süß es gewesen war, sich keine Sorgen machen zu müssen, und ich sah mich noch, wie ich mich über Pauls Schreibtisch beugte, wie ich, einzig bedrückt von der Qual der Wahl zwischen alldem, was er mir anbot, die Nase rümpfte und grundlos klagte, statt mich zu freuen.
    Doch ganz gleich, was die wahren Motive meiner Arschkriecherei waren, leider war die Sache damit nicht geritzt. Bislang hatten meine Bemühungen nichts ergeben, aber ich hoffte weiter, als reichten ein paar Zugeständnisse, um sich materielle Unannehmlichkeiten vom Leibe zu halten, als reiche es, darum zu bitten, damit einem das Minimum gewährt wurde. Ich hatte das Gefühl, einen Preis festgesetzt zu haben, unter den mein Verstand nicht gehen konnte. Alles andere hieße meine Seele dem Teufel verkaufen.
     
    Sarah merkte als erste, daß etwas nicht stimmte. Eines Abends, als wir zu zweit ein letztes Glas im Durango tranken, blickte sie mich mit ihren großen Augen durchdringend an und fragte, was los sei. Das war eine der Phasen, wo sie zwischen zwei Liebhabern stand, das heißt, sie hatte dem letzten den Laufpaß gegeben und noch nicht durch einen neuen ersetzt, und so gingen wir jetzt öfter gemeinsam aus, und wahrscheinlich waren wir einander noch näher, was mir mitunter buchstäblich den Atem verschlug. Man konnte die Freundschaft, die mich im Laufe meines Lebens mit einigen Typen verbunden hatte, nicht mit dem vergleichen, was ich für Sarah empfand. Meines Erachtens vermochte sie erheblich besser in mir zu lesen als der teuerste Freund, und egal, was man davon halten mag, in ihrer Gesellschaft mangelte es mir an nichts, ich kam ganz gut ohne diese endlosen Wortgefechte unter Männern aus, und ich brauchte niemanden, um mich zu besaufen. Ich wüßte nicht, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, daß ich einem von ihnen jemals meinen Kopf auf den Schoß gelegt hätte. Auch nicht, daß ich mich bei ihnen in der nächsten Sekunde dem wahnsinnigen Vergnügen hingegeben hätte, das ein leicht über meine Kopfhaut streichender Fingernagel in mir wachrief.
    Ich klärte sie in kurzen Worten über die Situation auf, präzisierte, noch brenne es nicht und ich erwarte eine ganze Reihe von Antwortschreiben und sei guter Dinge. Sie hörte mir aufmerksam zu, dann nickte sie.
    - Warum versuchst du nicht wieder mit dem Schreiben anzufangen …? murmelte sie und strich mir über die Hand.
    - Enrique …! Das gleiche nochmal …! rief ich und machte mich los.
    Auf dem Bürgersteig blies ein eisiger Wind, und von wegen zu Sarahs Wagen rennen und die Heizung aufdrehen, nein, Pech für uns, Richard hatte ihn nicht übel demoliert, und wir hatten das Motorrad nehmen müssen. Allein bei dem Gedanken fror mir umgehend der Hintern ab. Sarah hatte sich einen langen Schal um die Nase gewickelt und betrachtete tief betrübt meine an einen Laternenpfahl gekettete Triumph.
    Ich rieb ihr über den Rücken, während sie mir die Vorteile eines geschlossenen Fahrzeugs aufzählte und der Wind um uns pfiff. Ich wartete nur noch darauf, daß sie mir sagte, ich sei zu alt dafür. Diese Bemerkung blieb mir jedoch erspart, denn urplötzlich standen wir Elsie gegenüber, die in Begleitung von zwei anderen Mädchen im Durango aufkreuzte.
    Ich fing ihren Blick auf, ohne mich damit aufzuhalten, und bückte mich, um mir das Kettenschloß vorzuknöpfen, während sie Sarah auf die Wangen küßte. Das war das erste Mal, daß ich sie von nahem sah, seit sie von ihrer famosen Kreuzfahrt zurück war. Meistens entfernte ich mich still und leise, wenn ich sie erblickte, und ohne mich umzudrehen, so wie ich auch den Hörer auflegte, wenn es ihr in den Sinn kam, mich anzurufen. Bislang war es mir gelungen, eine gewisse Distanz zwischen ihr und mir zu wahren, eine Distanz von mindestens fünfzig Meter. Ich stand reglos in der Eiseskälte. Ich hörte nichts mehr, aber ich irrte mich nicht, ihr Blick hatte sich in meinen Nacken gekrallt. Ah, ich schäumte vor Wut, daß ich mich derart hatte einkeifen fassen, verdammt, welch Unstern, welch verflixtes Pech!
    Ich machte mich steif, als sich eine Hand auf meine Schulter legte. Trotz der Kälte, trotz der Dicke meines Leders – und auch einen warmen Pullover, ein Winterhemd und ein gefüttertes Shirt kann man mir getrost gutschreiben – glaubte ich

Weitere Kostenlose Bücher