Rueckkehr ins Leben
davor wegzugehen. Er dachte, wenn wir den
Busch verließen, wäre das der sichere Tod. So entschied er sich, im Sumpf zu bleiben.
Ich hatte nichts, was ich hätte tragen müssen, deshalb
stopfte ich mir Orangen in die Taschen, band die Schnürsenkel meiner ramponierten Turnschuhe und war bereit für den Abmarsch. Ich verabschiedete mich von allen und zog in
westlicher Richtung los. Kaum hatte ich das Gebiet mit den Verstecken verlassen und war auf einen Pfad gelangt, hatte ich das Gefühl, als hüllte mich eine Decke der Trauer ein. Sie senkte sich ohne Vorwarnung auf mich herab. Ich fing an zu weinen. Ich wusste selbst nicht warum. Vielleicht fürchtete ich mich vor dem, was vor mir lag. Ich setzte mich eine Weile an den Rand des Pfads, bis meine Tränen versiegt waren, dann ging ich weiter.
Ich lief den ganzen Tag und begegnete auf dem Weg oder
in den Dörfern, durch die ich kam, keiner einzigen Person.
53
Es gab keine Fußspuren, und die einzigen Geräusche, die ich hörte, waren mein Atem und meine Schritte.
Fünf Tage lang ging ich vom Morgengrauen bis in die
Abenddämmerung und hatte keinen Kontakt zu einem ande-
ren menschlichen Wesen. Nachts schlief ich in verlassenen Dörfern. Jeden Morgen bestimmte ich mein Schicksal, indem ich entschied, in welcher Richtung ich weitergehen würde.
Ich hatte mir vorgenommen, möglichst nicht in die Richtung zu gehen, aus der ich gekommen war. Am ersten Tag gingen
mir die Orangen aus, aber ich sammelte in den Dörfern, in denen ich schlief, neue auf. Manchmal stieß ich auf Maniok-plantagen. Ich grub einige Pflanzen aus und aß sie roh. Die einzige andere Nahrung, die es in den meisten Dörfern gab, waren Kokosnüsse. Aber ich wusste nicht, wie man auf eine Kokospalme klettert. Ich hatte es versucht, aber es war einfach unmöglich, bis ich eines Tages, als ich sehr hungrig und durstig war, in ein Dorf kam, wo es absolut nichts zu essen gab – außer den Kokosnüssen, die an den Palmen baumelten, als wollten sie sich über mich lustig machen und mich auffor-dern, sie zu pflücken. Schwer zu erklären, wie das geschah, aber plötzlich kletterte ich flink auf die Kokospalme. Bis ich merkte, was ich tat, und mir einfiel, wie unerfahren ich im Klettern war, saß ich bereits oben in der Krone und pflückte Kokosnüsse. Ich kletterte genauso rasch wieder herunter und sah mich nach etwas um, womit ich die Nüsse knacken
konnte. Glücklicherweise fand ich eine alte Machete und fing an, die Nüsse zu bearbeiten. Nachdem ich mich gestärkt hatte, suchte ich mir eine Hängematte und ruhte mich eine
Weile aus.
Ich stand ausgeruht wieder auf und glaubte, nun genug
Energie zu haben, um noch einmal hochzuklettern und noch
ein paar Kokosnüsse für unterwegs zu pflücken. Aber das war unmöglich. Ich kam nicht mal über die mittlere Stammhöhe
hinaus. Ich versuchte es wieder und wieder, aber jeder Versuch scheiterte erbärmlicher als der vorangegangene. Ich hatte lange nicht mehr gelacht, aber das brachte mich hemmungslos zum Lachen. Ich hätte eine wissenschaftliche Abhandlung
über die Erfahrung verfassen können.
54
Am sechsten Tag traf ich wieder auf Menschen. Ich hatte
gerade das Dorf verlassen, in dem ich die Nacht verbracht hatte, und war unterwegs auf der Suche nach dem nächsten, als ich vor mir Stimmen hörte, die mit dem Wind mal lauter und mal leiser wurden. Ich verließ den Pfad und schlich vorsichtig weiter, passte auf, wohin ich trat, damit meine Schritte auf den trockenen Blättern keine Geräusche machten. Ich
stellte mich hinter einen Busch und beobachtete die Leute, die ich gehört hatte. Sie waren zu acht unten am Fluss, vier Jungen, ungefähr zwölf Jahre alt – so alt wie ich –, zwei Mädchen, ein Mann und eine Frau. Sie schwammen. Nachdem ich sie eine Weile beobachtet und entschieden hatte,
dass sie harmlos waren, ging ich ebenfalls zum Fluss hinunter, um zu schwimmen. Weil ich sie nicht erschrecken wollte,
kehrte ich auf den Pfad zurück und ging auf sie zu.
Der Mann sah mich als Erster. » Kushe-oo«, grüßte ich ihn auf Krio * . »Wie geht’s?« Er musterte mein lächelndes Gesicht, sagte aber nichts, und ich dachte, vielleicht spricht er gar kein Krio. Also sagte ich Hallo auf Mende, meiner Stammesspra-che.
»Bu-wah. Bi ga hion ye na.« Noch immer antwortete er nicht. Ich zog mich aus und sprang in den Fluss. Als ich wieder an die Wasseroberfläche kam, hatten sie alle aufgehört zu schwimmen, waren aber noch im Wasser. Der Mann,
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