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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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Da musste ich schließlich
    einsehen, dass ich mich wohl verlaufen hatte und dass es eine Zeit lang dauern würde, hier wieder rauszukommen. Ich beschloss, es mir in meinem neuen Zuhause ein bisschen be-
    quemer zu machen, und polsterte das Astgeflecht mit Blättern aus, damit man nicht so hart darauf schlief.
    Ich ging herum und machte mich mit meiner neuen
    Nachbarschaft vertraut. Ich gewöhnte mich an mein neues
    Zuhause und räumte die trockenen Blätter beiseite. Dann
    nahm ich einen langen Stock und zeichnete Linien auf den
    Boden, die von meinem Schlafplatz zur Quelle führten, wo
    ich meiner neuen Nachbarin, der Schlange, begegnet war.
    Eine andere Schlange war dort, trank Wasser und erstarrte, als sie mich sah. Da ich sie nicht beachtete, hörte ich sie wenig später davongleiten. Ich zog Linien, indem ich die trockenen Blätter auf dem Boden teilte. Diese Zeichen verhinderten, dass ich mich auf dem Weg zwischen Schlafplatz und Quelle verirrte. Nachdem ich mich ausreichend mit der Gegend vertraut gemacht hatte, setzte ich mich hin und dachte darüber nach, wie ich aus dem Wald herausfinden könnte. Aber das

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    funktionierte nicht gut, da ich mich vor dem Nachdenken
    fürchtete. Am Ende beschloss ich, es sei vielleicht besser, wenn ich einfach blieb, wo ich war. Auch wenn ich mich
    verirrt hatte und einsam war, so war ich hier wenigstens vor-
    übergehend sicher.
    Neben der Quelle standen mehrere Bäume mit reifen
    Früchten, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Jeden Morgen kamen Vögel und fraßen von dieser seltsamen Frucht. Ich
    beschloss, ein wenig davon zu probieren, da sie das einzig Essbare waren. Ich hatte die Wahl, entweder die Chance zu ergreifen und etwas zu essen, mit dem ich mich vielleicht vergiften würde, oder aber mit Sicherheit zu verhungern. Ich entschied mich dafür, die Frucht zu versuchen. Ich dachte, wenn die Vögel sie fressen und das überleben, dann kann ich das vielleicht auch. Die Frucht hatte die Form einer Zitrone, die Schale war gelb und rot. Das Innere war knusprig, wässrig und fruchtig, mit sehr kleinen Kernen. Es roch nach einer Mischung aus reifer Mango, Orange und etwas anderem,
    unwiderstehlich Einladendem. Zögerlich pflückte ich eine
    und biss hinein. Sie schmeckte nicht so gut, wie sie roch, aber sie machte wenigstens satt. Ich muss ungefähr zwölf davon gegessen haben. Danach trank ich ein bisschen Wasser, setzte mich hin und wartete ab, was geschehen würde.

    Ich dachte daran, wie Junior und ich in Kabati zu Besuch
    waren und mit unserem Großvater auf den Pfaden um die
    Kaffeeplantagen in der Nähe des Dorfs spazieren gegangen
    waren. Er zeigte mir die heilenden Blätter und die Bäume, deren Rinde wichtige Medizin enthielt. Bei jedem dieser
    Besuche gab uns Großvater eine besondere Medizin mit, die angeblich die Aufnahme- und Merkfähigkeit des Gehirns
    verbesserte. Er stellte diese Medizin selbst her, indem er ein besonderes arabisches Gebet auf eine Waleh * schrieb – und zwar mit einer Tinte, die wiederum aus einer anderen Medizin hergestellt worden war. Die Schrift wurde dann von der Tafel gewischt, und das Wasser, das man Nessie nannte, kam

    * Tafel

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    in ein Fläschchen. Dieses Fläschchen bekamen wir mit. Wir mussten es geheim halten und sollten etwas davon einneh-men, wenn wir für Prüfungen büffelten. Die Medizin funk-
    tionierte. In der Grundschule und teilweise auch noch später habe ich alles behalten, was ich lernte. Manchmal funktionierte es so gut, dass ich mir alle meine Notizen und jedes einzelne Wort auf den Seiten meiner Schulbücher vor Augen rufen konnte. Es war, als hätten sich die Bücher in meinem Kopf eingeprägt. Dieses Wunder war eines von vielen in
    meiner Kindheit. Bis heute besitze ich ein ausgezeichnetes fotografisches Gedächtnis, das es mir ermöglicht, mich an unauslöschliche Einzelheiten meines Alltagslebens zu erinnern.
    Ich sah mich im Wald nach einer Heilpflanze um, von der
    Großvater gesagt hatte, dass ihre Blätter Gift aus dem Körper ziehen würden. Falls die Frucht, die ich gegessen hatte, doch giftig war, würde ich die Blätter vielleicht brauchen. Aber ich konnte die Pflanze nicht finden.
    Nach einigen Stunden war immer noch nichts passiert,
    weshalb ich beschloss, ein Bad zu nehmen. Ich hatte lange nicht mehr gebadet. Meine Kleidung war schmutzig, meine
    Turnschuhe vergammelt, und mein Körper klebte vor Dreck.
    Als das Wasser auf meine Haut traf, wurde sie erst einmal schmierig. Es gab keine Seife,

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