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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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wir alle überflüssig fanden, hatten wir einander zugenickt.
    Ich schüttelte den Jungen die Hand.
    An den Zeichen auf ihren Wangen und ihren Gesichtszü-
    gen konnte ich erkennen, wer zu welchem Stamm gehörte.
    Alhaji und Saidu waren Temne, und Kanei, Jumah, Musa
    und Moriba waren Mende. Sie erzählten, sie seien unterwegs zu einem Dorf namens Yele in der Gegend um Bonthe. Sie
    hatten gehört, dass man dort sicher sei, weil die Armee von Sierra Leone das Gebiet besetzt habe.
    Ich folgte ihnen schweigend und versuchte, mir all ihre
    Namen zu merken, besonders die derjenigen unter ihnen, die ich wiedererkannte. Ich ging hinten, ließ einen kleinen Ab-64
    stand zwischen uns. Allmählich wurde mir bewusst, wie
    unangenehm mir die Anwesenheit von Menschen war. Ka-
    nei, der älter war, vielleicht sechzehn, fragte mich, wo ich gewesen sei. Ich lächelte, ohne zu antworten. Er klopfte mir auf die Schulter, als wüsste er, was ich erlebt hatte. »Die Dinge werden sich ändern und dann wird alles gut, halt einfach noch ein bisschen durch«, sagte er, klopfte mir noch einmal auf die Schulter und nickte. Ich antwortete mit einem Lächeln.
    Wieder einmal befand ich mich in einer Gruppe von Jun-
    gen. Dieses Mal waren wir sieben. Ich wusste, dass das ein Problem sein würde, aber ich wollte nicht mehr alleine sein.
    Unsere Unschuld war der Angst gewichen und wir hatten uns in Monster verwandelt. Es gab nichts, was wir daran hätten ändern können. Manchmal rannten wir Leuten hinterher und
    schrien, dass wir nicht waren, wofür sie uns hielten, aber damit erschreckten wir sie nur noch mehr. Wir hofften, Leute nach dem Weg fragen zu können. Das aber war unmöglich.
    Wir waren über sechs Tage gegangen, als wir einem sehr
    alten Mann begegneten, der kaum noch laufen konnte. Er saß auf der Veranda eines Hauses mitten in einem Dorf. Sein Gesicht war so faltig, dass es überhaupt nicht mehr lebendig wirkte, doch seine dunkle Haut glänzte und er sprach langsam, kaute die Worte im Mund, bevor er sie herausließ. Als er sprach, traten die Adern auf seiner Stirn durch seine Haut hervor.
    »Alle sind weggerannt, als sie von den ›sieben Jungs‹ hörten, die hierher unterwegs waren. Ich konnte nicht rennen.
    Deshalb haben sie mich zurückgelassen. Niemand wollte
    mich tragen und ich wollte keine Last sein«, sagte er.
    Wir erklärten ihm, woher wir kamen und wohin wir
    wollten. Er bat uns, eine Weile zu bleiben und ihm Gesellschaft zu leisten.
    »Ihr jungen Burschen müsst hungrig sein. In der Hütte da
    drüben sind ein paar Jamswurzeln. Würdet ihr für uns alle welche kochen?«, fragte er höflich. Als wir die Jamswurzeln schon fast aufgegessen hatten, sagte er langsam: »Meine Kinder, dieses Land hat sein gutes Herz verloren. Die Menschen vertrauen einander nicht mehr. Vor Jahren wärt ihr hier herz-65
    lich willkommen geheißen worden. Ich hoffe, dass ihr euch in Sicherheit bringen könnt, bevor euch jemand wegen dieses Misstrauens und der Angst etwas antut.«
    Er zeichnete mit seinem Gehstock eine Karte auf den Bo-
    den. »So kommt ihr nach Yele«, sagte er.
    »Wie heißen Sie?«, fragte Kanei den alten Mann.
    Er lächelte, als hätte er gewusst, dass einer von uns diese Frage stellen würde.
    »Ihr braucht meinen Namen nicht zu wissen. Wenn ihr in
    das nächste Dorf kommt, dann sprecht von mir als dem alten Mann, der zurückgelassen wurde.« Er sah uns allen nacheinander ins Gesicht und sprach sanft und ohne Traurigkeit in der Stimme.
    »Ich werde das Ende dieses Krieges nicht mehr erleben.
    Ich verrate euch meinen Namen nicht, dann spart ihr Platz in eurem Gedächtnis. Wenn ihr den Krieg überlebt, dann erinnert euch an mich als an den alten Mann, dem ihr begegnet seid. Ihr müsst jetzt los.« Er zeigte mit seinem Stock auf den Weg, der vor uns lag. Als wir weggingen, radierte er die Karte mit dem Fuß wieder aus und winkte uns mit der erhobe-
    nen rechten Hand und einem Kopfnicken hinterher. Bevor
    das Dorf außer Sichtweite war, drehte ich mich noch einmal um, weil ich einen letzten Blick auf den alten Mann werfen wollte. Er hatte den Kopf gesenkt, hielt aber mit beiden
    Händen den Stock. Mir war klar, dass er wusste, dass seine Tage gezählt waren. Deshalb hatte er keine Angst mehr um
    sich gehabt. Aber um uns umso mehr.
    Jemand hatte das Gerücht über die »sieben Jungen« ver-
    breitet. Oft wurden wir auf unserem Weg von muskulösen
    Männern mit Macheten umringt, die uns fast umgebracht
    hätten, bevor sie merkten,

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