Rueckkehr ins Leben
geschah, sprangen Fischer mit Macheten, Speeren und
Netzen in den Händen hinter den Hütten hervor. Wir waren
so schockiert wegen des plötzlichen Aufruhrs, dass keiner von uns in der Lage war wegzurennen. Stattdessen schrien wir in allen möglichen der achtzehn Regionalsprachen, die jeder
von uns kannte: »Bitte, wir sind harmlos und nur auf der
Durchreise.« Die Fischer stießen uns mit den stumpfen Seiten ihrer Waffen, bis wir zu Boden gingen. Sie setzten sich auf uns, fesselten uns die Hände und brachten uns zu ihrem
Häuptling.
Die Dorfbewohner hatte das Gerücht erreicht, dass ein
paar junge Leute, vermutlich Rebellen, unterwegs zu ihnen waren. Kaum hatten sie dies gehört, bewaffneten und versteckten sie sich, warteten darauf, ihr Zuhause zu verteidigen und ihre Familien zu beschützen. Das hätte uns nicht derart erschrecken müssen, allerdings hatten wir hier nicht damit gerechnet, da wir uns weitab jeglichen Unheils wähnten. Sie stellten uns Fragen, wollten wissen, wo wir herkamen, wo
wir hinwollten und weshalb wir uns für diese Richtung entschieden hatten. Alhaji, der Größte von uns, der manchmal fälschlich auch für den Ältesten gehalten wurde, versuchte dem Häuptling zu erklären, dass wir nur auf der Durchreise waren. Danach rissen uns die Männer die zerschlissenen
Turnschuhe von den Füßen, banden uns los und jagten uns
aus dem Dorf, fuchtelten mit ihren Lanzen und Macheten
und schrien uns hinterher.
Wir begriffen erst, wie sehr uns die Fischer bestraft hatten, als wir aufhörten zu rennen. Die Sonne stand hoch am Himmel, es war fast 50 Grad heiß – und wir waren barfuß. Die Luftfeuchtigkeit war am Meer nicht so hoch wie im Inland, aber da es keine schattenspendenden Bäume gab, drang die
Sonne direkt in den Sand ein, machte ihn heiß und körnig.
Barfuß über den Sand zu laufen war wie auf einer heißen
Asphaltstraße zu gehen. Die einzige Möglichkeit, dem
Schmerz zu entgehen, bestand darin, einfach weiterzulaufen und auf ein Wunder zu hoffen. Wir konnten nicht im Wasser 70
oder auf dem nassen Sand gehen, denn die Wellen waren zu
gefährlich. Ich weinte mehrere Stunden lang; irgendwann
waren meine Füße dann taub geworden. Ich ging weiter,
konnte aber meine Fußsohlen dabei nicht mehr spüren.
Bis zum Sonnenuntergang liefen wir über den heißen,
brennenden Sand. Nie habe ich das Ende eines Tages so sehr herbeigesehnt wie an jenem Tag. Ich dachte, der Anbruch
der Dämmerung würde meine Schmerzen lindern. Doch als
die Hitze abflaute, nahm auch deren betäubende Wirkung ab.
Jedes Mal, wenn ich die Füße hob, spannten die Adern darin und ich spürte, wie sich Sandkörner in meine blutenden Fuß-
sohlen gruben. Die darauf folgenden Kilometer zogen sich so lang hin, dass ich glaubte, es nicht zu schaffen. Ich schwitzte und zitterte vor Schmerz. Schließlich kamen wir zu einer
offenen Hütte auf dem Sand. Keiner von uns brachte es fertig zu sprechen. Wir gingen hinein und setzten uns auf Baumstämme, die um eine Feuerstelle herum lagen. Ich hatte Trä-
nen in den Augen, aber ich konnte nicht einmal weinen, weil ich zu durstig war, um irgendeinen Laut von mir zu geben.
Ich sah mich nach den Gesichtern meiner Reisegefährten um.
Auch sie weinten tonlos. Zögernd sah ich unter meine Füße.
Abgeschältes Fleisch hing daran herunter, und Klumpen ge-
ronnenen Bluts und Sandkörner klebten an den Hautfetzen.
Es sah aus, als hätte mir jemand das Fleisch von der Ferse bis zu den Zehen mit einer Klinge abgezogen. Entmutigt blickte ich durch ein winziges Loch im strohgedeckten Dach in den Himmel und versuchte, nicht an meine Füße zu denken. Als
wir schweigend dasaßen, kam der Mann herein, dessen Hütte wir in Beschlag genommen hatten. Er blieb an der Tür stehen und wollte sich gerade umdrehen, als er merkte, wie sehr wir litten. Sein Blick traf unsere verängstigten Gesichter. Musa hatte gerade den Fuß gehoben und versucht, den Sand daran zu entfernen. Wir anderen hielten unsere Knie fest, damit unsere Füße nicht den Boden berührten. Der Mann machte
Musa ein Zeichen, dass er damit aufhören solle. Er schüttelte den Kopf und ging.
Wenige Minuten später kehrte er mit einem Korb voller
Gräser zurück. Schweigend machte er ein Feuer, erhitzte die 71
Gräser und legte sie dann jedem von uns unter die baumelnden Füße. Der Dampf der Gräser stieg zu unseren Fußsohlen auf und linderte allmählich den Schmerz. Der Mann ging,
ohne etwas zu sagen.
Später
Weitere Kostenlose Bücher