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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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dass wir nur Kinder waren, die vor dem Krieg davonrannten. Manchmal betrachtete ich die
    Klingen der Macheten und dachte, wie weh es tun würde,
    mit solch einer Klinge in Stücke geschlagen zu werden. Dann wieder war ich so müde und hungrig, dass es mir schon egal war. In Dörfern voller Menschen, wo wir manchmal haltmachten und übernachteten, blieben die Männer nachts auf
    und behielten uns im Auge. Wenn wir zum Fluss gingen, um

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    uns die Gesichter zu waschen, rissen Mütter ihre Kinder an sich und rannten nach Hause.

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    Eines Morgens, unmittelbar nachdem wir ein verlassenes Dorf passiert hatten, hörten wir ein Dröhnen wie von riesigen Mo-toren. Es war ein schweres, metallisches Trommeln, Schlag auf Schlag, wie hallender Donner. All diese Geräusche drangen gleichzeitig an unsere Ohren. Eiligst verließen wir den Pfad, rannten ins Gebüsch und legten uns auf den Boden.
    Wir blickten einander fragend an in der Hoffnung, eine Er-klärung für dieses seltsame Geräusch zu finden. Selbst Kanei, der manchmal Antworten parat hatte, konnte uns nicht sagen, was wir da hörten. Wir alle sahen ihn an, aber er verzog nur verwirrt das Gesicht.
    »Wir müssen rausfinden, was das ist, sonst können wir
    nicht weitergehen nach Yele«, flüsterte Kanei und kroch dem Geräusch entgegen. Wir folgten ihm, zogen unsere Körper
    leise über faulige Blätter. Als wir näher kamen, wurden die Geräusche lauter und ein heftiger Windstoß schüttelte die Bäume über uns. Den blauen Himmel konnten wir deutlich
    sehen, aber sonst nichts. Kanei hockte sich zögernd auf die Fersen und suchte die Umgebung mit den Augen ab.
    »Da ist nur Wasser, sehr viel Wasser, und Sand, auch sehr viel«, Kanei guckte noch immer.
    »Was macht dann den Krach?«, fragte Alhaji.
    »Ich sehe nur Wasser und Sand«, erwiderte Kanei und
    winkte uns näher heran, damit wir es selbst sehen konnten.
    Wir setzten uns ebenfalls hin, schauten in unterschiedliche Richtungen, versuchten festzustellen, was die Geräusche verursachte. Ohne ein Wort zu verlieren, kroch Kanei aus dem Gebüsch und ging über den Sand auf das Wasser zu.
    Es war der Atlantische Ozean. Die Geräusche, die wir ge-

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    hört hatten, kamen von den Wellen, die ans Ufer prallten.
    Ich hatte noch nie am Ufer eines so großen Meeres gestan-
    den. Es erstreckte sich weiter, als ich sehen konnte. Der Himmel war strahlend blau, in der Ferne schien er sich zu senken und mit dem Ozean zu verschmelzen. Meine Augen
    wurden immer größer, ein Lächeln erschien auf meinem Ge-
    sicht. Selbst inmitten dieses Wahnsinns gab es noch solch wahre Schönheit der Natur. Der Anblick lenkte mich von
    meiner momentanen Lage ab.
    Wir gingen näher ran, setzten uns an den Rand des Sand-
    strands und starrten auf den Ozean, bewunderten die Abfolge der Wellen. Sie kamen dreifach. Die erste war klein, aber stark genug, um jemandem ein Bein zu brechen. Die zweite
    war hoch und noch stärker als die erste, und die dritte war ein Ereignis. Sie rollte heran und stieg im Herannahen höher als die Küstenlinie. Wir sprangen von unseren Sitzplätzen auf und rannten davon. Die Welle brach so heftig an Land, dass kleine Sandkörnchen hoch in die Luft geschleudert wurden.
    Als wir zurückgingen, um nachzusehen, hatten die Wellen
    Treibgut angespült, darunter auch große Krabben, die, wie ich vermutete, nicht stark genug waren, um sich am Meeres-boden zu halten, die aber noch lebten.
    Es war eine ruhige Strecke am Strand entlang, da wir in
    diesem Teil des Landes nicht mehr mit Schwierigkeiten rechneten. Wir jagten uns gegenseitig und rangen miteinander im Sand, schlugen Purzelbäume und spielten Fangen. Wir knüllten sogar Alhajis altes Hemd zusammen und banden Schnur
    darum, sodass ein Fußball draus wurde. Dann spielten wir
    damit. Jedes Mal, wenn einer von uns ein Tor schoss, feierte er das mit einem Soukous-Tanz. Wir schrien, lachten und
    sangen die Lieder, die wir aus der Schule kannten.
    Früh am Morgen begannen wir unseren Marsch über den
    Sandstrand und beobachteten den Sonnenaufgang. Gegen
    Mittag sahen wir eine Gruppe von Hütten vor uns und rann-
    ten darauf zu. Als wir sie erreichten, machten wir uns plötzlich doch Sorgen. In dem Dorf war niemand. Mörser lagen
    im Sand, Reis quoll daraus hervor, aus Kanistern leckte Wasser, und die Feuer in den Kochhütten waren unbeaufsichtigt.

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    Unsere erste Befürchtung war, dass die Rebellen vielleicht doch hier gewesen waren. Aber noch bevor wir wussten, wie uns

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