Rueckkehr ins Leben
»Das ist nicht nötig. Dann sind wir alle sicher.«
Am folgenden Abend beschloss unser Gastgeber, uns zu
einem nahe gelegenen Abschnitt des Atlantischen Ozeans
mitzunehmen. Auf dem Weg dorthin unterhielt er sich mit
uns. Wir erfuhren, dass er zum Stamm der Sherbro gehörte, einem von vielen Stämmen in Sierra Leone. Als er die Geschichte hörte, wie wir aus Mattru Jong hergelaufen waren, konnte er sie kaum glauben. Er sagte, er hätte vom Krieg
gehört, aber es fiele ihm noch immer schwer zu glauben,
dass die Leute einander wirklich antaten, was er gehört hatte. Unser Gastgeber war in seinem Dorf geboren worden
und hatte es bisher nie verlassen. Händler kamen mit Kleidung, Reis und anderen Lebensmitteln ins Dorf, und er
tauschte Waren gegen Salz und Fisch ein, sodass er nir-
gendwo hingehen musste. Hätte ich raten sollen, hätte ich ihn auf Anfang zwanzig geschätzt. Er sagte, er würde im
nächsten Monat heiraten und freue sich darauf. Ich fragte ihn, weshalb seine Hütte außerhalb des Dorfes stand. Er er-klärte, dass das seine Fischerhütte sei, wo er die Netze und anderes Angelgerät aufbewahrte und während der Regenzeit
den Fisch trocknete.
Als wir den Ozean erreichten, gingen wir auf eine Bucht
zu, in der die See nicht so stürmisch war. Wir setzten uns ans Ufer. »Taucht eure Füße vorsichtig in das Salzwasser ein«, riet er uns. Er erklärte uns außerdem, dass das Salzwasser den Schmerz lindere und vor einer Tetanusinfektion schütze. Unser Gastgeber setzte sich seitlich von uns und betrachtete uns.
Jedes Mal, wenn ich ihn ansah, lächelte er und seine weißen 74
Zähne hoben sich strahlend von seinem dunklen Gesicht ab.
Die trockene Brise vom Landesinneren wirkte mit der kühlen Ozeanluft wunderbar beruhigend. Ich hätte so gerne seinen Namen erfahren, aber ich hielt mich zurück.
»Ihr müsst jeden Abend hierherkommen und eure Füße in
den Ozean halten. Dann sind sie in weniger als einer Woche wieder geheilt«, sagte er.
Er sah in den Himmel, wo schnell ziehende Wolken all-
mählich die Sterne verdunkelten. »Ich muss mich um mein
Kanu kümmern. Es wird bald regnen, ihr müsst wieder zur
Hütte zurück.« Er rannte über den Sand Richtung Dorf.
»Ich wünschte, ich wäre wie dieser Mann. Er ist so glück-
lich und zufrieden mit seinem Leben«, sagte Alhaji.
»Er ist wirklich ein sehr netter Mann. Ich möchte zu gerne wissen, wie er heißt«, sagte Kanei leise.
»Ja …« Wir alle pflichteten Kanei bei und versanken in
jeweils eigene Gedanken, die durch einen plötzlichen Regenschauer unterbrochen wurden. Wir hatten nicht auf unseren Gastgeber gehört und waren nicht zurückgegangen, wie er es uns gesagt hatte. Wir machten uns schnell auf den Heimweg.
In der Hütte setzten wir uns ums Feuer, um wieder trocken zu werden, und aßen getrockneten Fisch.
Wir waren zwei Wochen bei unserem Gastgeber gewesen
und fühlten uns besser, als eines Morgens sehr früh eine ältere Frau in die Hütte kam. Sie weckte uns und sagte, wir müssten sofort von hier weggehen. Sie sagte, sie sei die Mutter unseres Gastgebers. Die Leute im Dorf hätten herausgekriegt, dass wir hier waren, und sie seien unterwegs, um uns gefangen zu nehmen. Aus der Art, wie sie redete, schloss ich, dass sie die ganze Zeit über von uns gewusst hatte. Sie hatte uns getrockneten Fisch und frisches Wasser für unterwegs mitgebracht. Wir hatten nicht genug Zeit, ihr zu danken und sie zu bitten, ihrem Sohn ebenfalls unseren Dank für seine Gast-freundschaft auszurichten. Aber nach ihren Worten zu urteilen war klar, dass sie wusste, wie dankbar wir waren. Mehr als um alles andere sorgte sie sich um unsere Sicherheit.
»Meine Kinder, ihr müsst euch beeilen, mein Segen ist mit euch.« Ihre Stimme zitterte traurig und sie wischte sich über 75
das niedergeschlagene Gesicht, als sie hinter der Hütte verschwand und wieder ins Dorf ging.
Wir waren nicht schnell genug, um den Männern zu ent-
kommen, die uns holen kamen. Zwölf rannten hinter uns
sieben her, rangen uns im Sand nieder. Sie fesselten uns die Hände.
Als mir klar wurde, dass sie mich sowieso schnappen wür-
den, blieb ich stehen und hielt ihnen die Hände hin, damit sie sie fesseln konnten. Der Mann, der mich gejagt hatte, war ein wenig verblüfft. Vorsichtig trat er an mich heran und machte einem anderen Mann ein Zeichen, sich mit einem Stock und
einer Machete hinter mich zu stellen und aufzupassen. Als mir der Mann die Hände fesselte, trafen sich
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