Rueckkehr ins Leben
sagte.
»Ich weiß nicht«, sagte ich.
Sie alle hielten sich die Köpfe. Ihre Gesichter sahen aus, als wollten sie etwas anderes hören, etwas, von dem wir wussten, dass es möglich war, das zu akzeptieren wir uns aber fürchteten. »Was machen wir jetzt?«, fragte Moriba.
»Wir können nicht ewig hier stehen«, meinte Musa.
»Wir müssen ihn ins nächste Dorf tragen, egal wie weit das ist«, sagte Kanei langsam. »Hilf mir ihn aufzurichten«, fuhr er fort.
Wir stellten Saidu auf die Füße, und Kanei trug ihn auf
95
dem Rücken über die Brücke. Der ruhige Fluss floss nun
rascher und geräuschvoll über Felsen. Kaum hatten wir die Brücke überquert, hustete Saidu. Kanei setzte ihn ab, und wir versammelten uns um ihn herum. Er übergab sich ein paar
Minuten lang, wischte sich den Mund und sagte: »Das waren Geister letzte Nacht, ich weiß das.«
Wir pflichteten ihm alle bei.
»Ich muss in Ohnmacht gefallen sein, als sie anfingen zu
sprechen.« Er versuchte aufzustehen, und wir alle halfen ihm.
»Mir geht’s gut. Lasst uns weitergehen.« Er schob uns weg.
»Du bist ganz schön eigensinnig für jemanden, der gerade
erst von den Toten erwacht ist«, sagte Musa.
Wir lachten alle und liefen los. Meine Hände fingen wie-
der an zu zittern, ich wusste diesmal nicht warum. Es war ein düsterer Tag, und auf dem Weg zum nächsten Dorf fragten
wir Saidu andauernd, ob alles in Ordnung war.
Es war schon nach Mittag, als wir ein geschäftiges Dorf erreichten. Wir waren völlig verstört, wie laut es mitten im Krieg dort war. Es war das größte Dorf, in das wir bislang gekommen waren. Dort ging es zu wie auf einem Jahrmarkt.
Die Leute machten Musik und tanzten, Kinder rannten he-
rum, und da war der vertraute gute Duft von gekochten Ma-
niokblättern in fettem Palmöl.
Als wir auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen ab-
seits der Menge durch das Dorf gingen, entdeckten wir einige bekannte Gesichter. Die Leute winkten uns zögerlich zu. Wir fanden einen Baumstamm unter einem Mangobaum und setzten uns. Eine Frau, deren Gesicht ich nicht kannte, kam zu uns und setzte sich uns gegenüber.
»Du«, sie zeigte auf mich, »ich kenne dich«, sagte sie.
Ich erkannte sie nicht, doch sie beharrte darauf, meine
Familie und mich zu kennen. Sie erzählte mir, Junior sei ein paar Wochen zuvor auf der Suche nach mir durch das Dorf
gekommen und sie habe auch meine Mutter, meinen Vater
und meinen kleinen Bruder im nächsten Dorf gesehen, das
ungefähr zwei Tagesmärsche weit entfernt lag. Sie erklärte uns die Richtung und schloss mit den Worten: »In dem Dorf sind viele Leute aus Mattru Jong und dem Bergbaugebiet um 96
Sierra Rutile. Da findet ihr vielleicht eure Familien oder bekommt wenigstens Neuigkeiten über sie zu hören.«
Sie stand auf und tanzte im Weggehen zu der Soukous-
Musik, die gespielt wurde. Wir lachten. Ich wollte sofort los, aber wir beschlossen, die Nacht in dem Dorf zu verbringen.
Außerdem wollten wir, dass sich Saidu ausruhte, obwohl er uns immer wieder erklärte, es ginge ihm gut. Ich war so
glücklich, dass sich meine Mutter, mein Vater und meine
beiden Brüder gefunden hatten. Vielleicht hatten meine Mutter und mein Vater sogar wieder zueinander gefunden, dachte ich. Wir gingen im Fluss schwimmen und spielten im Wasser Verstecken, rannten am Flussufer entlang und schrien »Co-coo«, um das Spiel zu beginnen. Alle lachten.
In jener Nacht stahlen wir einen Topf mit Reis und Ma-
niokblättern. Wir aßen am Dorfrand unter Kaffeebäumen,
spülten die Töpfe und brachten sie zurück. Wir hatten keinen Platz zum Schlafen, deshalb suchten wir uns, als alle Bewohner hineingegangen waren, eine Veranda aus.
Ich schlief nicht in jener Nacht. Kaum hatten meine
Freunde zu schnarchen begonnen, zitterten meine Hände.
Ich hatte das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren würde.
Die Hunde jaulten und rannten von einem Ende des Dorfes
zum nächsten.
Alhaji wachte auf und setzte sich zu mir. »Ich bin von den Hunden aufgewacht«, sagte er.
»Ich konnte gar nicht erst einschlafen«, antwortete ich.
»Vielleicht bist du aufgeregt, weil du deine Familie wie-
dersiehst«, freute er sich. »Das bin ich auch.«
Alhaji stand auf. »Findest du’s nicht komisch, wie die
Hunde jaulen?« Ein Hund kam an die Veranda, auf der wir
saßen, und jaulte entsetzlich. Einige weitere Hunde stimmten ein. Ihr Geheul stach mir ins Herz.
»Ja, sie klingen irgendwie menschlich«, sagte ich.
»Das hab ich
Weitere Kostenlose Bücher