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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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auch gedacht«, gähnte Alhaji. »Ich glaube,
    Hunde sehen Sachen, die wir nicht sehen. Irgendwas stimmt nicht.« Er setzte sich hin.
    Wir schwiegen, starrten einfach nur in die Nacht. Die

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    Hunde jaulten die ganze Nacht über, einer sogar noch, als der Himmel schon wieder strahlend blau war. Dann übernahmen
    Babys das Schreien. Die Leute standen auf, deshalb mussten wir die Veranda räumen. Alhaji und ich weckten unsere
    Freunde. Als wir Saidu schüttelten, blieb Saidu still liegen.
    »Steh auf, wir müssen gehen.« Er schüttelte Saidu fester, weil wir hörten, dass die Leute, auf deren Veranda wir geschlafen hatten, Anstalten machten, nach draußen zu kom-
    men.
    »Saidu, Saidu«, redete Kanei auf ihn ein. »Vielleicht ist er wieder ohnmächtig geworden«, sagte ich.
    Ein Mann kam nach draußen und begrüßte uns. Er trug
    einen kleinen Eimer Wasser. Das Lächeln in seinem Gesicht sagte uns, dass er die ganze Zeit gewusst hatte, dass wir auf der Veranda waren.
    »Das wird helfen.« Der Mann bespritzte Saidu mit kaltem
    Wasser aus dem Eimer.
    Aber Saidu bewegte sich nicht. Er lag einfach nur auf dem Bauch, das Gesicht im Staub vergraben. Seine Handflächen
    zeigten verkehrt herum, waren blass. Der Mann drehte ihn
    um und prüfte seinen Puls. Saidus Stirn war verschwitzt und runzlig. Sein Mund war leicht geöffnet, und über seine Wangen zogen sich getrocknete Spuren von Tränen.
    »Kennt ihr jemanden im Dorf?«, fragte der Mann.
    Wir verneinten und schüttelten die Köpfe. Er atmete
    schwer aus, stellte den Eimer ab und legte beide Hände auf den Kopf.
    »Wer ist der Älteste von euch?«, fragte er und sah Alhaji an. Kanei hob die Hand. Sie traten vor die Veranda, und der Mann flüsterte ihm etwas ins Ohr. Kanei brach an der Schulter des Mannes in Tränen aus. In dem Augenblick begriffen wir, dass uns Saidu verlassen hatte. Alle anderen weinten, aber ich konnte nicht weinen. Mir war schwindlig und meine Augen wurden feucht. Meine Hände fingen wieder an zu zit-
    tern. Ich spürte die Wärme in meinem Bauch, und mein
    Herz schlug langsam, aber schwer. Der Mann und Kanei gin-
    gen weg. Als sie wiederkamen, brachten sie zwei Männer

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    mit, die eine hölzerne Bahre trugen. Sie legten Saidu darauf und forderten uns auf, ihnen zu folgen.
    Saidus Leichnam wurde gewaschen und noch am selben
    Tag für die Beerdigung vorbereitet. Er wurde in weißes Leinen gewickelt und in einen Holzsarg gelegt, der auf dem
    Tisch im Wohnzimmer des Mannes stand, auf dessen Veranda
    wir geschlafen hatten.
    »Ist einer von euch mit ihm verwandt?«, fragte ein großer, schlanker, muskulöser Mann. Er war für die Beerdigungszer-emonien im Dorf verantwortlich. Wir schüttelten die Köpfe.
    Ich hatte das Gefühl, als würden wir Saidu, unseren Freund, unseren Reisegefährten verleugnen. Er war Mitglied unserer Familie geworden, doch der Mann wollte einen echten
    Blutsverwandten, der die Beerdigung autorisieren könnte.
    »Kennt jemand von euch seine Familie?« Der Mann sah
    uns an.
    »Ich.« Kanei hob die Hand.
    Der Mann rief ihn zu sich auf die andere Seite des Sargs.
    Sie sprachen miteinander. Ich versuchte, anhand der um-
    ständlichen Gesten, die der Mann mit seiner rechten Hand
    machte, herauszubekommen, was sie sagten. Die linke Hand
    des Mannes lag auf Kaneis Schulter. Kaneis Lippen bewegten sich eine Weile, dann nickte er nur noch stumm, bis die Unterhaltung beendet war.
    Kanei kam zurück und setzte sich zu uns auf die Hocker,
    die für die Beerdigung bereitstanden. Außer uns wohnte ihr nur der Mann bei, auf dessen Veranda Saidu gestorben war.
    Die anderen Dorfbewohner saßen still auf ihren Veranden.
    Sie erhoben sich, als wir durch das Dorf zum Friedhof gingen.
    Ich konnte nicht glauben, dass Saidu wirklich von uns ge-
    gangen war. Ich klammerte mich an die Vorstellung, dass er nur ohnmächtig war und bald wieder aufstehen würde. Erst
    als er nur mit dem Leichentuch umwickelt in die Grube ge-
    lassen wurde und die Totengräber ihn mit Erde bedeckten,
    wurde mir klar, dass er nie mehr aufstehen würde. Nur noch Erinnerungen blieben von ihm zurück. Mein Hals tat mir
    weh. Das Atmen fiel mir schwer, und ich öffnete den Mund.

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    Der Mann, der vorher gefragt hatte, ob einer von uns mit
    Saidu verwandt war, las nun Koransuren vor. Da begann ich leise zu weinen. Ich ließ die Tränen auf die Erde tropfen, und der Sommerstaub nahm sie auf. Die Männer, die Saidu getragen hatten, legten Steine auf das Grab, damit die frisch

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