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Rueckkehr ins Leben

Rueckkehr ins Leben

Titel: Rueckkehr ins Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ishmael Beah
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uns

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    hinterher, während sie im Nachmittagswind tanzten und
    wankten, als litten sie Qualen.
    »Wir« – der Lieutenant zeigte auf uns – »sind dazu da,
    euch zu beschützen, und wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, damit euch nichts zustößt.« Er zeigte auf die Zivilisten.
    »Unsere Aufgabe ist ernst, und wir haben die fähigsten
    Soldaten, die alles tun werden, um dieses Land zu verteidigen. Wir sind nicht wie die Rebellen, dieser Abschaum, der grundlos Leute umbringt. Wir töten zum Besten des Landes.
    Also bringt diesen Männern Respekt entgegen« – er zeigte
    wieder auf uns – »denn sie stellen ihre Dienste zur Verfü-
    gung.« Der Lieutenant redete immer weiter, einerseits weil er den Zivilisten eintrichtern wollte, dass wir die Guten waren, und andererseits, weil er den Kampfgeist seiner Männer, darunter auch wir Jungen, stärken wollte. Ich stand da, um-
    klammerte fest mein Gewehr und hatte das Gefühl, jemand
    ganz Besonderes zu sein, denn man nahm mich ernst und ich lief nicht mehr davon, vor niemandem. Jetzt hatte ich mein Gewehr. Der Corporal sagte immer: »Das Gewehr ist in diesen Zeiten die Quelle eurer Macht. Es wird euch beschützen und mit allem versorgen, was ihr benötigt, wenn ihr nur
    lernt, es richtig einzusetzen.«
    Ich kann mich nicht erinnern, was den Ausschlag für die
    Rede des Lieutenants gab. Vieles geschah ohne Grund oder
    Erklärung. Manchmal erhielten wir ganz plötzlich, während wir gerade einen Film ansahen, den Befehl, auszurücken.
    Stunden später, nachdem wir viele Menschen getötet hatten, kehrten wir zurück und sahen den Film zu Ende, als wären
    wir gerade aus der Pause gekommen. Wir befanden uns ent-
    weder direkt an der Front, sahen Kriegsfilme oder nahmen
    Drogen. Zum Alleinsein oder Nachdenken blieb keine Zeit.
    Wenn wir uns unterhielten, sprachen wir über die Kriegsfil-me und darüber, wie beeindruckend wir es gefunden hatten, wie der Lieutenant, der Corporal oder einer von uns jemanden getötet hatte. Es war, als würde außerhalb unserer Reali-tät nichts mehr existieren.
    Am Morgen nach der Rede des Lieutenants übten wir, die

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    Gefangenen auf dieselbe Art zu töten, wie es der Lieutenant vorgemacht hatte. Es waren fünf Gefangene, und es gab viele eifrige Anwärter. Der Corporal wählte einige von uns für das blutige Schauspiel aus. Er entschied sich für Kanei, drei andere Jungen und mich. Die fünf Männer wurden auf dem Trai-
    ningsgelände in einer Reihe mit gefesselten Händen vor uns aufgestellt. Wir sollten ihnen auf den Befehl des Corporals hin die Kehle durchschneiden. Derjenige, dessen Gefangener am schnellsten starb, war Sieger des Wettkampfs. Wir zogen unsere Bajonette und sollten unseren Gefangenen jeweils ins Gesicht sehen, während wir sie in eine andere Welt beförderten. Ich starrte meinen Gefangenen an. Sein Gesicht war geschwollen von den Schlägen, die er hatte einstecken müssen, und seine Augen wirkten, als würde er etwas hinter mir beobachten. Sein Kiefer war die einzige angespannte Gesichtspar-tie, ansonsten wirkte er ruhig. Ich empfand nichts für ihn, dachte überhaupt nicht darüber nach, was ich tat. Ich wartete nur auf den Befehl des Corporals. Der Gefangene war lediglich ein weiterer Rebell, der, wie ich inzwischen aufrichtig glaubte, für den Tod meiner Familie verantwortlich war.
    Der Corporal gab das Signal mit einem Pistolenschuss, und ich packte den Kopf des Mannes und schlitzte ihm mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung die Kehle auf. Sein
    Adamsapfel gab dem Druck des scharfen Messers nach. Ich
    drehte die Klinge in der Wunde und zog das Messer mit der gezackten Seite heraus. Seine Augen rollten herum und sahen mich direkt hat, bevor sie plötzlich zu einem entsetzlichen Starren gefroren, fast wirkte er überrascht. Der Gefangene legte sein ganzes Gewicht auf mich, als er seinen letzten Atemzug tat. Ich ließ ihn fallen und wischte mein Bajonett an ihm ab. Ich meldete mich beim Corporal, der die Zeit stoppte. Die Körper der anderen Gefangenen kämpften in den
    Armen der anderen Jungen, und manche zitterten eine Weile auf dem Boden. Ich wurde zum Sieger erklärt, Kanei war
    zweiter. Die Jungen und die anderen Soldaten, die unser
    Publikum waren, klatschten, als hätte ich gerade eine der größten Leistungen überhaupt vollbracht. Ich wurde zum
    Junior Lieutenant ernannt und Kanei zum Junior Sergeant.

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    Wir feierten die großen Leistungen des Tages mit noch mehr Drogen und

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