Rueckkehr ins Leben
forderte die anderen Soldaten auf, uns unsere Militärausrüstung wegzunehmen. Ich versteckte mein Bajonett in meiner Hose und eine Handgranate in der Tasche. Als mich einer der Soldaten durchsuchen wollte, schubste ich ihn weg und sagte ihm, dass ich ihn töten würde, wenn er mich anfasste. Er ging weiter und durchsuchte stattdessen den Jungen neben mir.
Was passierte hier? Unsere Gesichter folgten dem Lieute-
nant auf seinem Weg ins Haus. Wieso hatte uns der Lieute-
nant den Zivilisten übergeben? Wir hatten geglaubt, wir ge-hörten dem Krieg an, bis zum Ende. Die Einheit war unsere Familie gewesen. Jetzt wurden wir weggebracht, einfach so, ohne Erklärung. Einige Soldaten sammelten unsere Waffen
ein, und andere bewachten uns, damit wir nicht versuchten, unsere Waffen zurückzuholen. Wir wurden auf den Laster
geführt. Ich starrte zurück auf die Veranda, wo der Lieutenant stand und in entgegengesetzter Richtung auf den Wald blickte, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Ich wusste nicht, was geschah, aber allmählich wurde ich wütend und unruhig. Seit dem Tag, an dem ich Soldat geworden war,
hatte ich mich nicht mehr von meinem Gewehr getrennt.
Auf dem Laster standen drei MPs – Stadtsoldaten. Das er-
kannte ich daran, wie sauber ihre Uniformen und Gewehre
waren. Sie hatten die Hosen in die Stiefel und ihre Hemden in die Hosen gesteckt. Ihre Gesichter waren nicht verhärmt und ihre Gewehre so sauber, dass ich annahm, dass noch nie damit geschossen worden war. Die Waffen waren gesichert.
Die MPs sprangen vom Laster und machten uns Zeichen, an
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Bord zu klettern. Wir verteilten uns auf zwei lange Bänke auf dem Laster, die einander gegenüberstanden, und zwei der
Männer, der mit den Stammesmalen und der libanesisch wir-
kende Ausländer, kletterten ebenfalls zu uns hoch. Dann
schwangen sich die drei MPs auf das Trittbrett hinten, einen Fuß auf dem Laster, den anderen ließen sie baumeln.
Als der Laster den Stützpunkt verließ, kochte ich vor Wut, weil ich mir keinen Reim auf die Geschehnisse machen
konnte. Alhaji sah mich verdutzt an. Ich betrachtete die Gewehre der MPs und beneidete ihre Träger. Die Männer, die
uns geholt hatten, lächelten, als der Laster über die Schotterstraße raste und Staub aufwirbelte, der sich auf die Büsche am Straßenrand senkte. Ich hatte keine Ahnung, wohin wir fuhren.
Wir waren stundenlang unterwegs. Ich war es gewohnt,
überall hin zu laufen und hatte seit geraumer Zeit nicht mehr so lange auf einem Laster oder überhaupt untätig auf ein und derselben Stelle gesessen. Ich fand es furchtbar. Ich dachte darüber nach, den Laster zu kapern und zurück nach Bauya
zu fahren. Aber immer, wenn ich gerade einem der MPs die
Waffe entreißen wollte, bremste der Laster ab, weil wir einen Kontrollpunkt erreichten, an dem die Soldaten absprangen.
Die Handgranate in der Seitentasche meiner Armeeshorts
hatte ich völlig vergessen. Ich war die ganze Fahrt über unruhig und begann, mich auf die Kontrollpunkte zu freuen (davon gab es viele, viel zu viele), da ich dadurch kurzfristig der Langeweile auf dem Laster entkam. Wir sprachen kein einziges Wort miteinander. Wir saßen schweigend da. Nur ab und zu zwinkerte ich Alhaji zu, und wir warteten auf den richtigen Moment, um den MPs die Gewehre zu entreißen und sie
vom Laster zu stoßen.
Der letzte Kontrollpunkt, den wir an jenem Tag passier-
ten, war mit Soldaten besetzt, die komplette Armeeunifor-
men trugen. Die braunen polierten Holzbeschläge ihrer Kalaschnikows glänzten und waren neu. Das waren Stadtsoldaten, die wie die MPs bei uns auf dem Laster noch nicht im Krieg gewesen waren. Sie hatten keine Ahnung, dachte ich, was da draußen im Busch überall im Land geschah.
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Wir passierten den Kontrollpunkt, verließen die staubige
Straße und gelangten auf eine stark befahrene Teerstraße. Wo ich auch hinsah, fuhren Autos in alle erdenkliche Richtungen. Ich hatte noch nie im Leben so viele Autos, Transporter und Busse gesehen. Mercedes, Toyotas, Mazdas, Chevrolets
hupten ungeduldig, Musik dröhnte aus den Fahrzeugen. Ich
wusste immer noch nicht, wo wir hinfuhren, aber ich war
jetzt sicher, dass wir uns in Freetown befanden, der Hauptstadt von Sierra Leone. Nur warum wir hier waren, wusste
ich nicht.
Draußen wurde es dunkel. Als der Laster langsam über die
geschäftige Straße schaukelte, gingen die Straßenlaternen an.
Selbst die Läden und Kioske waren beleuchtet. Ich war be-
eindruckt
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