Rueckkehr ins Leben
Kriegsfilmen.
Ich hatte ein Zelt für mich alleine, in dem ich nie schlief, weil ich nie schlafen konnte. Manchmal wehte mir spät
nachts der stille Wind das Summen von Lansana ans Ohr. Es schien, als wisperten die Bäume die Melodien der Lieder, die er gesungen hatte. Dann lauschte ich ein wenig, feuerte einige Schüsse in die Nacht und vertrieb damit sein Summen.
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Die Dörfer, die wir einnahmen und in Stützpunkte verwan-
delten, und die Wälder, in denen wir schliefen, wurden mein Zuhause. Meine Einheit war meine Familie, mein Gewehr
ernährte und beschützte mich, und mein Motto lautete: Töte oder du wirst getötet. Sehr viel weiter reichten meine Gedanken nicht. Wir hatten über zwei Jahre gekämpft, und Tö-
ten war zu etwas Alltäglichem geworden. Ich hatte mit niemandem Mitleid. Meine Kindheit war unbemerkt verstri-
chen, und mein Herz war wie eingefroren. Ich wusste, dass Tage und Nächte kamen und gingen, weil es den Mond und
die Sonne gab, aber ich hatte keine Ahnung, ob es Sonntag oder Freitag war.
Ich bildete mir ein, mein Leben sei normal. Aber in den
letzten Wochen des Januars 1996 änderte sich alles. Ich war fünfzehn Jahre alt.
Eines Morgens marschierte ich mit zwanzig Angehörigen
meiner Einheit nach Bauya, einen kleinen Ort einen Tages-
marsch südlich unseres Stützpunkts gelegen, wo wir Muniti-on beschaffen wollten. Meine Freunde Alhaji und Kanei ka-
men mit. Wir freuten uns darauf, Jumah zu treffen, der jetzt dort stationiert war. Wir wollten seine Kriegsgeschichten hö-
ren, wollten wissen, wie viele Menschen er getötet hatte. Ich freute mich darauf, den Lieutenant zu sehen. Ich hoffte, wir würden die Zeit finden, um ein bisschen über Shakespeare zu reden.
Wir gingen in zwei Reihen einen staubigen Pfad entlang,
blickten mit blutunterlaufenen Augen in das dichte Gebüsch.
Wir erreichten den Stadtrand von Bauya kurz vor Sonnenun-
tergang und warteten in den Büschen, bis unser Kommandant 145
vorausgegangen war, um sicherzugehen, dass unsere Kollegen nicht auf uns schießen würden. Wir setzten uns unter Bäume und beobachteten den Pfad. Der Kommandant kehrte nach
einigen Minuten zurück und gab uns ein Zeichen, in die
Stadt zu kommen. Ich warf mir mein Gewehr über die
Schulter und lief neben Kanei und Alhaji, als wir den Stützpunkt betraten. Die Häuser dort waren größer als in anderen Dörfern, und wo wir auch hinsahen, entdeckten wir unbekannte Gesichter. Wir grüßten die anderen Soldaten mit einem Kopfnicken, während wir die Stadt nach Jumah absuch-
ten. Wir fanden ihn in einer Hängematte auf der Veranda
eines Steinhauses mit Blick auf den Wald. Neben ihm lehnte ein halbautomatisches Maschinengewehr, und er wirkte gedankenverloren. Wir gingen langsam auf ihn zu, doch bevor wir ihn erschrecken konnten, hörte er unsere Schritte und drehte sich um. Sein Gesicht war gealtert. Wir schüttelten ihm die Hand und begutachteten sein Gewehr.
»Ich sehe schon, du bist jetzt schwer bewaffnet«, scherzte Alhaji.
»Naja, was soll ich sagen, aus den Kalaschnikows bin ich
rausgewachsen«, erwiderte er und wir lachten.
Wir sagten ihm, dass wir wiederkommen und uns ein paar
Minuten zu ihm setzen würden und gingen los, um unsere
Taschen mit Munition und Lebensmitteln zu füllen, die wir mitnehmen wollten. Im Munitionsgebäude teilte uns unser
Kommandant mit, dass der Lieutenant angeordnet hatte, dass wir die Nacht über blieben und ein Abendessen auf uns warten würde. Ich hatte keinen Hunger, also ging ich alleine zu Jumah zurück, während Kanei und Alhaji zum Essen gingen.
Eine Zeit lang saßen wir ruhig da, bis wir schließlich zu reden anfingen.
»Ich nehme morgen Früh an einem Überfall teil, vielleicht sehen wir uns nicht mehr, bevor ihr geht.« Er hielt inne, fin-gerte seitlich an seinem Maschinengewehr herum und fuhr
fort: »Beim letzten Angriff hab ich den Besitzer dieses Gewehrs getötet. Er hat einige von uns erwischt, bevor ich ihn drangekriegt hab. Seitdem hab ich damit selbst auch ein bisschen Schaden angerichtet.« Er kicherte und wir klatschten 146
uns gegenseitig in die Hände und lachten. Unmittelbar da-
nach mussten wir uns zur Abendversammlung im Zentrum
des Ortes melden. Das war ein geselliges Ereignis, bei dem sich auch der Kommandant unter alle anderen mischte. Jumah nahm sein Gewehr und legte mir den Arm auf die
Schulter, als wir auf den Hof zugingen. Alhaji und Kanei
waren dort; sie hatten bereits angefangen zu rauchen.
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