Rueckkehr nach Connemara
entlang, die sich wie silbrige Wasserfälle steile Abhänge hinunterstürzten. Die Luft war erfüllt von dem berauschenden, an Kokosnuss erinnernden Duft des Stechginsters. Es war ein romantisches Fleckchen Erde, das zwischen den Bergen eingebettet am Doo Lough lag.
Auf der ganzen Welt gab es sicher keinen friedlicheren Platz.
Und ausgerechnet hier waren so viele Menschen umgekommen.
Lorcan erinnerte sich allzu gut an das letzte Mal, als sie hier zusammen spazieren gegangen waren. Er war zutiefst
beeindruckt gewesen, wie sehr das Schicksal von Menschen sie berührte, die sie gar nicht kannte. Sie hatte seinen Beschützerinstinkt geweckt und ihn seine eigenen Emotionen spüren lassen.
Auch jetzt spiegelten sich ihre Gedanken in ihrem Gesicht.
Am liebsten hätte er den Arm um sie gelegt und ihr zugeflüstert, sie brauche nicht traurig zu sein, es sei alles schon lange her. Er tat es jedoch nicht.
Die Straße führte von Louisburgh zu dem großen torfbraunen See, an dem Delphi Lodge, das Jagdhaus, stand, nach dem der Ort benannt war. Während der Hungersnot Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts hatten die Bewohner von Louisburgh in einem heftigen Schneesturm elf Meilen zum Jagdhaus laufen müssen. Dort sollten sie die schriftliche Bestätigung bekommen, dass sie im Armenhaus essen und unterkommen konnten.
Die Verantwortlichen wollten sich jedoch beim Dinner nicht stören lassen und forderten die Menschen auf, am nächsten Morgen wiederzukommen. Von den vierhundert Männern,
Frauen und Kindern überlebten nur wenige die Nacht. Die meisten, sowieso schon geschwächt durch Hunger und
Verzweiflung, waren erfroren.
Lorcan wusste, dass Kathleen immer wieder diese Straße entlangging und der armen Menschen gedachte, die hier umgekommen waren. Wie immer, wenn sie hier war, blieb sie am See stehen, senkte den Kopf und sprach ein Gebet.
Aber auch Lorcan war betroffen von dem Schicksal der Menschen und der Grausamkeit der Verantwortlichen. Er konnte Ungerechtigkeit nicht ertragen. Die Emotionen, die jetzt an diesem Platz auf ihn einstürzten, ließen seinen Entschluss, sich Kathleen gegenüber zurückzuhalten, ins Wanken geraten.
Während er sie beobachtete, wie sie ganz ruhig und still einige Meter von ihm entfernt stand, liefen ihr plötzlich Tränen über die Wangen.
Er überlegte, ob sie daran dachte, was man ihr und ihrer Mutter angetan hatte. Es war eine drastische Maßnahme, die meine Mutter damals getroffen hat, gestand er sich ein. Aber unter den Umständen war es verständlich gewesen.
Plötzlich hob Kathleen den Kopf und begegnete Lorcans besorgtem Blick. "Es ist schrecklich, was mit den Menschen passiert ist", sagte sie.
"Ja. Reg dich nicht auf." Er ärgerte sich, dass er sich von seinen Gefühlen hatte hinreißen lassen.
Sie lächelte tapfer. "Ich weiß, dass ich zu weich bin. Meine Mutter hat immer gesagt, ich hätte nahe am Wasser gebaut."
Irgendwie schaffte er es, sie nicht in die Arme zu nehmen, obwohl sie schöner und hilfloser aussah als je zuvor. Die schwarzen Locken fielen ihr in die Stirn, und in ihren dunklen Augen schimmerten Tränen. Er sehnte sich danach, ihre wunderschönen Lippen zu küssen.
Rasch nahm er sich zusammen und antwortete: "Am Schicksal anderer teilzunehmen heißt noch lange nicht, zu weich zu sein."
Ich wünschte, er würde mich umarmen, dachte sie wehmütig.
Sie fühlte sich einsam und allein. "Lass uns zurückgehen", bat sie ihn niedergeschlagen.
Lorcan wusste selbst nicht genau, ob er sich freuen oder es bedauern sollte, dass er sich beherrscht und Kathleen nicht geküsst hatte. Auf der Rückfahrt schwieg er und dachte zum ersten Mal darüber nach, wie eintönig das Leben auf
Ballykisteen Manor für ihn ohne sie sein würde: gelegentliche Besuche bei seiner Mutter und Arbeit, sonst nichts.
Er warf Kathleen von der Seite einen Blick zu und bemerkte, dass sie nachdenklich zum Fenster hinaussah. Er beneidete sie darum, dass sie ihre Emotionen zeigen und ausdrücken konnte.
Ihre Gunst verschenkte sie jedoch zu großzügig.
Wenn man seine Gefühle zeigt, ist man viel zu verletzlich, überlegte er. Was wäre die Alternative? Ein geordnetes Leben ohne seelische Verletzungen? Plötzlich wurde ihm klar, dass das nicht genug war.
Ich bin von Kathleen wie besessen, obwohl es gefährlich für mich ist, sagte er sich. Seine Gedanken drehten sich nur noch um sie, und sein Körper sehnte sich nach ihr. Wenn sie in seiner Nähe war, musste er all seine Willenskraft aufbieten,
Weitere Kostenlose Bücher