Rueckkehr nach Connemara
bestimmt nicht kommen."
Aber die Angst wollte nicht weichen. Kathleen hatte Lorcan schon immer faszinierend gefunden, weil er so unkonventionell war. Zugleich fürchtete sie sich vor ihm, denn er war ein unberechenbarer Einzelgänger. Harry hatte ihr viel über ihn erzählt.
Lorcans aufbrausendes Temperament war mit ihm zum ersten Mal schon kurz nach seiner Ankunft durchgegangen. Damals war sie sechs gewesen. Ihr Leben lang würde sie sich daran erinnern, Wie sie Harry entdeckt hatte, der wimmernd dagesessen hatte und sich beklagte, Lorcan habe ihn ohne Grund zusammengeschlagen.
Einige Stunden später hatte man Lorcan auf der Straße durchs Torfmoor gefunden. Sein Shirt war mit Blut verschmiert gewesen, das aus einer Wunde im Gesicht tropfte. Harry hatte geschworen, Lorcan habe sie sich selbst zugefügt. Seitdem hatten sich alle Bänder vor ihm gefürchtet.
Dennoch war ihr Leben durch ihn leichter und besser
geworden. Zu ihrer Überraschung verteidigte er sie als Einziger gegen den Spott und die Angriffe der anderen Kinder. Er tröstete sie auch, als er sie eines Tages in Tränen aufgelöst auf dem Schulhof fand.
Mit viel Geduld fand er heraus, was los war. Sie befürchtete, man würde ihr das Haar abschneiden, weil sich das Gerücht verbreitete, sie habe Läuse. Lorcan war in das Klassenzimmer in der kleinen Dorfschule gestürmt und hatte jedem Rache geschworen, der es noch einmal wagte, Kathleen zu verleumden.
Alle, auch der Lehrer, waren sehr erschrocken gewesen. An diesen Vorfall erinnerte man sich im Dorf immer noch.
Sie dachte über sein widersprüchliches Verhalten nach. Ihr gegenüber war er ausgesprochen lieb und sanft gewesen, als Racheengel hingegen hatte er geradezu furchteinflößend gewirkt.
Dennoch hatte sich sein Verhalten nicht mit seinem Ruf als pathologischer Lügner und Raufbold vereinbaren lassen, wie sie sich eingestand. Er hatte sie nie verletzt. Deshalb war sie auch so schockiert gewesen, als er sie später brutal fallen gelassen hatte. Ihr schauderte, seinen Gegnern gegenüber kannte er kein Erbarmen.
Jetzt waren sie Gegner. Kathleen war klar, dass ihr Anspruch auf das Haus, das sie so sehr liebte, fragwürdig war. Wenn Lorcan sie mit seinem durchdringenden Blick ansah, würde sie ihm wahrscheinlich die Wahrheit nicht verheimlichen können.
Dann müsste sie ihre Sachen packen.
"Ein wunderschöner Tag", stellte Declan unvermittelt fest.
Es war wirklich ein perfekter Tag mit dem blauen Himmel und den weißen Wolken, die sich um die Spitzen der Hügel legten. Von irgendwoher drang der Ruf der Brachvögel zu ihnen. Ihr wurde das Herz schwer. Sie könnte es nicht ertragen, das alles aufzugeben.
"Ich will nie wieder hier weg", stieß sie so leidenschaftlich hervor, dass die Hunde wach wurden und davonliefen. "Ich würde alles tun, um hier bleiben zu können, und ihn sogar auf den Knien bitten, uns in Ruhe zu lassen."
"Nein, so etwas darfst du gar nicht denken." Declan war bestürzt.
"Doch!" rief sie panikartig aus. Plötzlich gestand sie sich ein, dass sie, um Ballykisteen nicht verlassen zu müssen, auch mit Lorcan unter einem Dach leben würde. "Wenn es hart auf hart geht und er darauf besteht, dass ich ausziehe, schlage ich ihm vielleicht vor, für ihn zu arbeiten."
Declan kam auf sie zu und legte ihr die schmutzigen Hände auf die schmalen Schultern. Dann sah er ihr so tief in die Augen, dass sie sich von diesem großen, kräftigen Mann beschützt fühlte, dessen Haar so schwarz und widerspenstig war wie ihr eigenes.
"Tu das nicht", warnte er sie.
"O Dec", flüsterte sie, "lass es nicht zu, dass so etwas passiert."
"So weit wird es nicht kommen", beruhigte er sie.
Ihre Arme reichten nicht ganz um seinen breiten Rücken herum, trotzdem drückte sie ihn in ihrer Verzweiflung ganz fest.
Zu gern hätte sie ihm geglaubt, aber Dec würde es niemals wagen, sich gegen Lorcan aufzulehnen. Sie wollte nicht noch einmal von Ballykisteen vertrieben werden. Aber sie ahnte Schlimmes.
Während sie sich an Declan lehnte, spürte sie das
Silbermedaillon, das sie um den Hals trug. Sie dachte an ihr erstes Kind, den Sohn, den sie sehr geliebt und vor vielen Jahren verloren hatte und dessen Foto sie in dem Medaillon
aufbewahrte.
Wieder durchdrang sie der Schmerz wie ein scharfes Messer.
Sie war nie über Kierans Tod hinweggekommen. Dafür
überhäufte sie Conor, ihr zweites Kind, mit all ihrer Liebe. Con zuliebe hatte sie sogar ihren Stolz überwunden, nur damit er sicher und behütet
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