Rueckkehr nach Connemara
auf die Lippe. Früher oder später musste er alles erfahren, aber jetzt noch nicht.
"So ist es doch viel einfacher."
"Freut mich, dass ich dir behilflich sein kann", sagte er.
Kathleen wollte sich die Angst nicht anmerken lassen und wünschte, sie könnte ihn mit spöttischen Bemerkungen irritieren. Doch dann fiel ihr ein, dass die Wahrheit ihn mehr als alles andere irritieren würde.
"Die meisten Menschen ziehen sich in ihren eigenen vier Wänden aus", fuhr er angespannt fort. "Oder bist du vielleicht eine Exhibitionistin?"
"Natürlich nicht. Ich dachte, es wäre niemand im Haus", entgegnete sie scharf und presste ihre Sachen fest an sich, um so viel nackte Haut wie möglich zu bedecken.
"Ach ja? Offenbar gehst du in meinem Haus ein und aus."
"Ich ... ich ...", begann sie nervös und fuhr sich mit der Hand durch das dichte schwarze Haar. Obwohl ihr Herz viel zu heftig pochte und sich die seltsamsten Gefühle ihn ihr ausbreiteten, bemühte sie sich, äußerlich ruhig zu bleiben.
"Du bist hier eingedrungen", erklärte er kühl.
"Ich habe nichts Verbotenes getan ..."
"Soll ich dir aufzählen, was du getan hast?" fragte er und verzog ironisch die Lippen.
"Du hast dich wie ein Dieb ins Haus geschlichen. Du hättest mich wenigstens warnen können, dass du kommst", fuhr sie ihn zornig an.
"Dich warnen?" In seinen Augen blitzte es gefährlich auf.
"Hör zu. Ich hätte nie damit gerechnet, dass du hier bist. Hatte man nicht deine Mutter und dich aufgefordert, das Haus zu verlassen?"
"Stimmt. Aber ich bin zurückgekommen."
Soll ich ihm jetzt sagen, warum? überlegte sie. Dann würde er bestimmt in die Luft gehen.
"Darüber reden wir gleich noch." Es klang wie eine Drohung.
"Das Wichtigste zuerst. Wo ist meine Mutter? Sie hätte nie zugelassen, dass du dieses Haus noch einmal betrittst, und erst recht nicht, dass du das Badezimmer benutzt. Was ist passiert?"
Er hob herausfordernd das Kinn. "Ist sie gestorben?"
"Nein, Lorcan." Kathleen war entsetzt über seine Vermutung.
Obwohl er sich nichts anmerken ließ, schien er sich leicht zu entspannen. Offenbar hatte er die schlimmsten Befürchtungen gehabt, als er durch das leere Haus gegangen war. Er tat ihr leid.
Auch wenn er so etwas wie ein Ungeheuer war, seine Mutter hatte er immer geliebt und respektiert.
"Wo ist sie?" fragte er.
"Ich glaube, sie wohnt bei ihrer Schwester in Dublin."
"In Dublin? Warum ausgerechnet ... Ich hätte sie dort besuchen können." Er zog die Augenbrauen zusammen.
"Warum ist sie nicht hier?"
"Harry und sie hatten vor einigen Jahren einen heftigen Streit."
"Ich habe mir schon gedacht, dass er dahinter steckt. Weißt du, um was es ging?"
Sie nickte. "Um dich."
Er zuckte zusammen. "Und um was genau?"
Wahrscheinlich ist er nur wegen seiner aufgestauten
Emotionen so schroff, dachte sie mitleidig.
"Soweit ich weiß, hatte Harry herausgefunden, dass sie dir heimlich schrieb. Er hat deine Briefe an sie verbrannt und sie dann aufgefordert, das Haus zu verlassen und sich eine andere Unterkunft zu suchen."
Er fluchte heftig und entschuldigte sich sogleich dafür. "Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass dieser kleine Teufel meine Mutter tyrannisiert hat ..." Ihm versagte die Stimme, so betroffen war er.
Lorcan ist offenbar doch nicht ganz gefühllos, schoss es ihr durch den Kopf. Er hatte nie Gefühle zeigen können, er hatte noch nicht einmal zugegeben, dass er auch verletzlich war und lieben konnte. Aber seine Adoptivmutter war für ihn immer etwas Besonderes gewesen.
"Es tut mir sehr leid, Lorcan", sagte Kathleen. "Ich glaube, deine Mutter war sehr bestürzt."
"Bestürzt?" wiederholte er empört. "Natürlich war sie das!
Sie musste ihr Zuhause verlassen! Ausgerechnet der Mann, den sie als Kind aus lauter Gutmütigkeit und Hilfsbereitschaft bei sich aufgenommen und adoptiert hat, wirft sie hinaus!"
"Ja, aber viel schlimmer war für sie, dass sie deine Adresse nicht mehr hatte", erklärte Kathleen und erinnerte sich daran, was Declan ihr erzählt hatte. "Harry hatte deine Briefe verbrannt, so dass sie keinen Kontakt mehr mit dir aufnehmen konnte."
Er ließ sich erschöpft auf das breite Bett sinken und blickte eine Zeit lang reglos vor sich hin.
"Dann war es nur ein Missverständnis", sagte er so leise, dass Kathleen ihn kaum verstehen konnte. Das Sprechen schien ihm schwer zu fallen. "Ich dachte, sie wollte nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich hätte sie besuchen müssen, aber ich glaubte ..." Er schüttelte den Kopf.
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