Rückkehr nach Kenlyn
Atemzug sagte sie: »Ich habe dich belogen, Endriel, von Anfang an. Doch meine eigene Geschichte ist wahr. Und ich mag dich. Unter anderen Umständen, da bin ich sicher, wären wir gute Freundinnen geworden.
Und auch, wenn es dich nicht beruhigen wird: Meine Leute werden euch nichts antun. Ich habe ihnen befohlen, euch nach Hause zurück zu bringen, in meinen Palast, wo ihr in meiner Obhut bleiben werdet. Es wird euch an nichts fehlen, das verspreche ich. Und vielleicht kann ich dir dann auch den Rest erzählen, in der Hoffnung, dass du verstehst, warum ich tue, was ich tue.
Bitte grüß Kai von mir. Wir sehen uns bei eurer Rückkehr.«
Das Bild im Kubus verblasste und verschwand.
Endriel saß längst auf dem Bett und starrte ins Nichts. Die Antriebsgeräusche, das leise Rauschen der Heizung, nichts davon nahm sie noch war.
» Ich habe dich belogen, Endriel, von Anfang an. «
Erst spät merkte sie, dass jemand den Raum betreten hatte und mit ihr sprach. Sie hob den Kopf: Miko stand vor ihr, das Gesicht halb hinter seinem Schal verborgen. Nelen flog neben ihm, auch sie schien Schlimmes zu ahnen.
»... K-Kapitän? Hören Sie mich? Wo ist Liyen? Und was ist das für ein Metallding neben der Kommode?«
»Endriel!«, piepste Nelen. »Was ist los?«
Es dauerte eine lange, lange Zeit bis ihre Freundin ihr antworten konnte.
DRITTER TEIL:
AUSNAHMEZUSTAND
22. Gestrandet
»Fehler sind dafür da, um aus ihnen zu lernen. Wenn sie uns nicht vorher vernichten, natürlich.«
– Venshiko
Sie hatte damals geglaubt, der Regen würde niemals enden. Noch immer hatte sie das Bild vor Augen: wie sie beide in der Höhle aus rotem Stein saßen, beim Schein des Lagerfeuers, während eine Sturzflut auf die Welt niederging, die den Wald dort draußen zu ertränken drohte und die Flüsse in reißende Bestien verwandelte.
Doch hier drinnen waren sie sicher – fürs Erste.
Liyen wusste bis heute nicht, wer die Höhle vor ihnen bewohnt hatte – aber wer auch immer es gewesen sein mochte, er hatte ihnen etwas Feuerholz hinterlassen und ein paar Lumpen, auf denen sie sitzen konnten. Die schroffen Steinwände um sie herum zeigten Malereien aus Kreide, die Tiere darstellten, Drachenschiffe und seltsame Schriftzeichen; sie hatte sich damals vorgestellt, dass einst ein halbverrückter Einsiedler hier gehaust hatte, tief in diesem Wald, eine Ewigkeit von der nächsten Siedlung entfernt, in Gesellschaft der Fledermäuse, die vor ihnen geflohen waren, als sie diesen Ort okkupiert hatten.
Liyen zog die Wolldecke enger an sich, die aus dem Rucksack ihres Retters stammte. Darunter war sie nackt, aber sie schämte sich nicht dafür – sie war viel zu froh, noch am Leben zu sein. Ihre Hose, ihr Hemd, die Jacke, Socken und ihre Schuhe hingen zum Trocken auf Stöcken vor dem Feuer. Das Prasseln und Knacken der Flammen mischte sich mit dem Zischen des Regens draußen. Der junge Mann, dem sie ihr Leben verdankte, hatte das Feuer mit etwas entfacht, das an ein winziges Sonnenauge erinnerte, auch wenn er versucht hatte, das Artefakt vor ihr zu verbergen.
Er selbst hatte sich aus seinem langen Mantel geschält, ihn am Höhleneingang ausgewrungen und dann um den Kreis aus handgroßen Kieseln drapiert, der die Flammen umschloss. Seine Stiefel und Wollsocken hatte er daneben gelegt; jetzt trug nur noch ein einfaches Hemd und eine dunkle Hose. Er hatte die Hände zum Feuer geöffnet. »Alles in Ordnung?«, fragte er, anscheinend ehrlich besorgt.
Liyen nickte, wobei ihr eine rote Strähne ins Gesicht fiel. Ihr Haar war noch immer feucht und ihre Kehle wund von dem ewigen Husten; sie hatte zu viel Wasser geschluckt. Trotz der Decke und des Feuers zitterte sie. »Ja«, sagte sie.
Das schien ihn zu beruhigen. Er öffnete die Lippen.
»Liyen«, sagte sie, noch bevor er die Frage stellen konnte.
»Yelos«, antwortete er mit jungenhaftem Lächeln. Seine Stimme ließ sie an dunklen Samt denken; sie klang selbstsicher und stark. Vielleicht war er Schauspieler (unwahrscheinlich, dachte ein Teil von ihr), oder Offizier.
Während er neue Zweige ins Feuer legte, betrachtete sie heimlich sein Gesicht im unsteten Schein der Flammen. Es war rund und weich, mit Haut so dunkel, wie ihre hell war. Eine Narbe wie von einer Klinge lief von seinem linken Ohrläppchen bis zu seinen vollen Lippen. Er war groß, so groß wie sie, und kräftig – zumindest kräftig genug, sie an einem Seil aus den Gewalten des Stroms zu ziehen. Sein krauses Haar war kurz geschnitten; es
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