Rückkehr nach Kenlyn
werden.«
Liyen schloss die Augen und holte tief Luft. Sie wünschte sich, Yelos könnte jetzt hier sein. Er war sein Leben lang auf diesen Kampf vorbereitet gewesen. Sie dagegen hatte nur sechs viel zu kurze Monate gehabt, um von ihm zu lernen.
»Gebieterin?« Die beiden Minister sahen sie an, und Liyen drängte ihre Gedanken beiseite.
»›Zersetzende Elemente‹ also«, sagte sie schließlich mit tonloser Stimme. »Ganz etwas Neues.«
Weron grunzte verächtlich. »Zumindest scheint Seine Exzellenz einzusehen, dass ihm die Mär von Schmugglern und Piraten niemand mehr abkaufen wird.«
»Ihm ist klar, dass er die Kontrolle verliert!« Ta-Gad klang wie von Silberfeuer aufgepeitscht. Oder von Zorn. »Etwas wie das hier kann selbst er nicht mehr ignorieren!«
Liyen lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Er wird einen Sündenbock brauchen.« Sie blickte von einem Minister zum anderen. »Und das werden wir sein, meine Herren.« Sie wusste, dass sie das Offensichtliche aussprach. Die beiden alten Männer nickten einträchtig.
Der uralte, erzböse Schattenkult; der Feind der Hohen Völker – gab es einen besseren Prügelknaben?
Bislang hatte sich die Geistermaske gescheut, den Kult auch nur zu erwähnen: aus Furcht vor der Hysterie ihrer Untertanen – oder deren Wut, wenn sie erfuhren, dass die Regierung bereits seit sechs Monaten von der Rückkehr des Kults wusste und es vorgezogen hatte, sie alle zu belügen.
Aber mit Xanata war plötzlich eine Unbekannte in Syl Ra Vans Gleichung aufgetaucht; etwas, das alle seine Pläne durcheinander brachte.
»Selbst wenn er die Aufstände niederprügelt«, fuhr Liyen fort, »der Hass der Leute wird weiter unter der Oberfläche schwelen. Und wenn er ihn nicht in andere Bahnen lenkt, wird ihn dieser Hass vernichten.«
»Aber bevor das geschieht ...«, begann Ta-Gad.
»Werden wir uns an das Volk wenden«, vollendete Liyen. »Es wird Zeit, dass wir aus dem Schatten treten.«
Der Kriegsminister strich sich über das bartlose Kinn.
»Ihre Meinung, Weron?«
»Ich frage mich, ob dieser Schritt nicht überstürzt sein könnte, Gebieterin. Wir dürfen nicht vergessen, welchen Ruf man uns angehängt hat. Nach tausend Jahren der Hetzpropaganda werden sich die wenigsten von unserer Rechtschaffenheit überzeugen lassen.« Er zuckte mit den winzigen Achseln. »Es ist bequemer als die Alternativen.«
Das einzige, was Ta-Gad dazu äußerte, war ein leises, nachdenkliches Röhren aus seinem Horn.
»Sie haben Recht, was unseren Ruf und die Propaganda betrifft«, sagte Liyen. »Aber genau aus diesem Grund müssen wir Syl Ra Van zuvorkommen. Wenn wir den Leuten unseren Standpunkt jetzt nahebringen, wird alles, was er ihnen danach sagt, wie eine verzweifelte Reaktion wirken. Es wird ihn unglaubwürdig aussehen lassen.« Sie legte die Hände flach auf die Tischplatte. Der Marmor war kühl unter ihren Fingern. »Wir müssen das Feuer schüren, bevor es wieder erkaltet. Davon abgesehen«, ihr Blick wanderte von Weron zu Ta-Gad, »müssen die Hohen Völker wissen, dass jemand auf ihrer Seite steht. Wenn wir ihre Sympathie erlangen wollen, können wir uns nicht länger verstecken. Sie müssen wissen, wer wir sind und was unsere Ziele sind. Jetzt.«
Weron sah sie einen Moment an, dann verneigte er sich knapp. »Ich sehe mich berichtigt, Gebieterin.«
»Danke, Minister Weron. Minister Ta-Gad?«
Der beleibte Draxyll faltete die Hände vor dem Bauch. Liyen musste plötzlich daran denken, dass er mehrfacher Vater und sogar Großvater war – drei Generationen seiner Familie dienten dem Kult. »Im Prinzip stimme ich Ihnen zu, Gebieterin. Doch bei allem Respekt: Niemand kennt Sie. Was wir brauchen, ist jemand, dessen Name und Gesicht dem Volk bekannt ist. Jemand, dem es vertraut.«
Liyen lehnte sich wieder zurück, sie klopfte sich mit dem Zeigefinger an die Lippen. »Irgendwelche Vorschläge?«
»Es gibt nicht wenige Prominente, die unsere Sache unterstützen. Es bleibt nur die Frage, welches Gewicht ihr Wort in dieser Sache hat. Ich werde eine Liste mit Kandidaten zusammenstellen.«
»Gut.« Liyen nickte. »Ich muss Ihnen beiden nicht sagen, dass die Zeit drängt, meine Herren.«
Sie erklärte die Sitzung für geschlossen. Die beiden alten Männer verabschiedeten sich. Liyen wandte sich an ihre Leibgarde. »Lasst mich für einen Moment allein.«
»Gebieterin?«
»Ihr habt mich gehört.«
»Natürlich, Gebieterin.«
Die vier Gardisten verließen das Kriegszimmer mit scheppernden
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