Rückkehr nach Kenlyn
nächsten Versuch. »Hilfst du mir?«
Liyen sah sie lange an. Der Wind wehte ihr einen kupferroten Schleier ins Gesicht. »Endriel ...«
»Ja oder nein?«
»Du musst mich verstehen: Das alles liegt weit hinter mir. Und ich weiß nicht, ob ich bereit bin–«
»Nein, ich verstehe schon.« Endriel stieß sich von der Brüstung ab. »Weißt du was? Vergiss es. Es war von Anfang an eine blöde Idee. Nicht meine erste und wahrscheinlich auch nicht meine letzte.« Sie wandte sich ab.
»Endriel!«, rief Liyen ihr nach.
Sie drehte sich um. »Was?«
»Ich wollte damit sagen ...«, begann Liyen. Dann hielt sie verwirrt inne. »Hörst du das auch?«
»Was ...?« Endriel brach ab.
Schiffsantriebe kreischten in der Ferne; sie kamen immer näher. Es war schwer, sie zu zählen, aber es waren mindestens drei Schiffe, wahrscheinlich mehr. Da zog im Westen eine blaue Dämmerung auf – und vier Drachenschiffe glitten über die Stadt. Sie schwärmten in alle Himmelsrichtungen aus; eines jagte so dicht über die Promenade hinweg, dass Endriel und Liyen sich die Ohren zuhalten mussten. Sie verfolgten, wie das Schiff den Kanal überquerte; einige Straßen weiter kam es zum Stehen. Es verharrte über den Häusern wie ein böses Omen – dann sank es tiefer und tiefer hinab, wobei die Wucht seiner Antriebe Ziegel von den nahen Dächern riss und klirrend auf das Pflaster nieder regnen ließ. Luken gingen auf, Seile wurden herausgeworfen und dunkel gekleidete Gestalten aus allen Völkern ließen sich daran herab. Schreie wurden laut, scheinbar gleichzeitig, überall. In sämtlichen Häusern gingen die Lichter an, Alarmsirenen heulten.
»Oh, Scheiße«, sagte Endriel.
»Neigst du immer zu Untertreibungen?« Liyen schwang sich ächzend den Rucksack über die Schultern. Endriel war bereits losgelaufen. Liyens Stimme ging fast in der Kakophonie aus Schreien und Maschinengebrüll unter, als sie ihr nachrief: »Wo willst du hin?«
»Ich muss zu meinem Schiff!«
Liyen beeilte sich, ihr zu folgen. »Du hast ein Schiff?«
»Ja, aber garantiert nicht mehr lange, wenn die Piraten es entdecken!«
In diesem Moment überquerten dunkel gekleidete Wesen die Brücke über dem Kanal, keine zwanzig Meter vor ihnen und hetzten auf sie zu, Schwerter, Dolche und Sonnenaugen in Händen.
»Oh, Scheiße«, sagte jetzt auch Liyen.
»Der alte Trick«, knurrte Keru mit widerwilliger Anerkennung. Er hatte die Brücke abgedunkelt, und so sah man deutlich das geisterhaft blaue Licht, das über der Stadt glühte, immer wieder durchzuckt von roten Blitzen. »Die Sichtung in Terong-Lar muss eine Ablenkung gewesen sein. Die Weißmäntel sind abgezogen, und nun können sie hier problemlos zuschlagen. Nicht neu, aber clever.«
Xeah kauerte hinter ihm auf dem Diwan; sie hatte die Hände gefaltet, damit sie nicht zitterten. Es nutzte wenig. »Endriel ist noch da draußen«, sagte sie, begleitet von einem klagenden Laut aus ihrem Horn.
»Glaubst du, das wüsste ich nicht?«
»W-Was sollen wir tun?« Nelens ängstliche Stimme war kaum mehr ein Wispern. Keru konnte die Yadi ebenso wenig sehen wie den Jungen: Beide hatten sich hinter der Steuerkonsole versteckt. »Wir müssen ihr helfen! Wir –!«
»Sei still!«, fauchte Keru. »Ich versuche nachzudenken!« Er schloss sein Auge. Die Gärten waren für Besucher schon lange geschlossen, er konnte also davon ausgehen, dass Endriel in die Stadt zurückgekehrt war. Natürlich konnte er mit der Korona starten und sie aufsammeln – sofern er den Sonnenaugen der Piratenschiffe ein perfektes Ziel bieten wollte.
Er sah zu der zitternden Xeah: Konnte er sie und die anderen einfach hier lassen?
Die Piraten würden als erstes an den Orten zuschlagen, an denen es offensichtliche Beute gab: Banken, Museen, Villen – und alles einsacken, das sich leicht transportieren ließ. Es befanden sich Weißmäntel in der Stadt, aber viel zu wenige, und außerdem waren sie zu Fuß. Andererseits würde längst jemand durch den Nexus nach Verstärkung geschickt haben. Den Piraten blieb möglicherweise gar nicht genug Zeit, sich um die Schiffe hier am Landeplatz zu kümmern. Vielleicht würden sie die Korona zusammen mit den anderen Fluggeräten einfach ignorieren.
Aber er konnte sich nicht darauf verlassen.
Möglicherweise war es das Klügste, sich unauffällig zu verhalten und still und leise darauf zu warten, dass die Plünderer sich wieder verzogen. Sie waren in erster Linie auf Profit aus, nicht aufs Töten. Wenn Endriel mitdachte,
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