Rückkehr nach Kenlyn
Vielleicht hatten die Kultisten es auch mitgenommen, und er würde ewig in diesen Wäldern herumirren, während Xeah in Winterstarre fiel oder erfror und ihn allein hier zurückließ, und –!
Miko schüttelte den Kopf. Daran dürfte er nicht denken! Nicht, bevor er nicht alles versucht hatte!
Was willst du schon tun?, hörte er die Stimme seines Vaters sagen. Gib es gleich auf, bevor du noch mehr Schaden anrichtest!
Miko zögerte. Und wenn es stimmte? Wenn er irgendeinen Fehler beging, und alles wurde nur noch schlimmer? (Denn schlimmer konnte es nach seiner Erfahrung immer werden).
Doch dann fiel ihm ein, was Keru gesagt hatte; das versteckte Kompliment des Skria über die Sache mit der Piratin, und sein stolzes, zähnestarrendes Lächeln. Mit Rumstehen und Warten hatte er es sich nicht verdient. Jeder Wald war irgendwo zuende, selbst wenn er das Schiff nicht finden würde, auf irgendwas oder irgendjemanden würde er schon stoßen. Also setzte seinen Weg fort, mit aller Entschlossenheit, zu der er fähig war. Die anderen verließen sich auf ihn, genau wie Xeah, und er wollte, er durfte sie nicht enttäuschen!
Versuch, dich zu erinnern! Welchen Weg sind wir gekommen?
Ihre Flucht hatte nicht lange gedauert, bis die Schatten sie gefunden hatten. Allzu weit konnte die Lichtung also nicht entfernt sein. Nur die Richtung – in welcher Richtung lag sie? Die Bäume sahen alle gleich aus!
Er versuchte, sich zurückzuversetzen: wie sie alle aus dem Schiff geklettert und Hals über Kopf in den Wald hinein geflohen waren. Er wusste noch, wie er einen letzten Blick zurück zur Korona geworfen und dabei befürchtet hatte, dass er das kleine Drachenschiff – sein einziges, wahres Zuhause – vielleicht niemals wieder sehen würde. Flammen hatten sich auf der angeknacksten Brückenkuppel gespiegelt und –
Das Feuer!
Natürlich! Die Antriebe hatten eine Brandspur auf den Baumkronen hinterlassen! Wahrscheinlich hatte der Regen die Flammen mittlerweile gelöscht, aber bestimmt gab es noch Rauch!
Miko wartete, bis das Licht des nächsten Blitzschlags die Finsternis wieder zerriss. Dann konnte er sie sehen, durch das Gewirr der Äste hindurch: eine Reihe winziger, glühender Kohlestücke an der Spitze von geschwärztem Holz, als hätten die Bäume dort oben eine Kette aus roten Lichtern gespannt. Anscheinend hatte es noch nicht lange genug geregnet, um das noch glimmende Holz ganz erlöschen zu lassen.
Somit blieben nur noch zwei mögliche Richtungen: Die, aus der die Korona gekommen, und die, in die sie weitergeflogen war. Aber welche war die Richtige? Links oder rechts? Miko schloss die Augen, lauschte auf seine innere Stimme.
Dann wählte er den Weg zu seiner Rechten.
Die Stahltür war nicht verschlossen. Hinter ihr tat sich ein fensterloser Gang auf, hundert Schritte lang oder mehr. Der kühle Schein von Lichtkugeln schimmerte auf dem schwarzen Marmor. Obwohl das Gebäude – wo auch immer es sich befand – offensichtlich beheizt war, kämpfte Endriel mit einem Frösteln.
Keru marschierte ihnen voran. Seine rechte Pranke hielt ein Sonnenauge, während sein linker Arm die Rüstung des Schattenkaisers an einem Schulterstück umklammerte – das Ding schien leichter zu sein, als es aussah. Manchmal zuckte die Maschine in ihrem Inneren, was den Skria offenbar nicht weiter kümmerte, Endriel jedoch jedes Mal befürchten ließ, der Kaiser würde zu neuem, künstlichem Leben erwachen.
Sie folgte Keru dichtauf, das andere Sonnenauge fest in beiden Händen. Die Energiezellen hatten sich wieder voll regeneriert, aber sie hoffte, eine weitere Schießerei vermeiden zu können.
Klar, und wenn ich Flügel hätte, wäre ich ein Drachenschiff ...
Sie hatte keine Ahnung, ob bei ihrer Flucht aus den Zellen ein Alarm ausgelöst worden war oder ob es versteckte Aufzeichner gab, die sie dabei beobachtet hatten. Doch selbst wenn nicht: Sie war nicht so naiv zu glauben, hier so mir nichts, dir nichts herausspazieren zu können.
Sie warf einen Blick zu Liyen, die zusammen mit Nelen auf ihrer Schulter die Nachhut bildete, dann wandte sie sich wieder an Keru. »Warst du schon mal in diesem Trakt hier?«
»Nein. Wir sind auf jeden Fall im Palast des Kults, aber in welchem Teil davon kann ich nicht sagen.«
»Moment mal, du kennst diesen Ort?«, fragte Liyen.
Es war Endriel, die an seiner Stelle antwortete: »Ich erklär’s dir später.«
»Ich war zwar nur halb bei Bewusstsein«, brummte Keru, »aber ich kann mich erinnern, wie sie
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